Die englische Episode
gesamte weibliche Hauspersonal, starrte Augusta erschreckt an. Ihr rotfleckiges Gesicht wurde blass, sie sprang von ihrem Hocker auf und rannte, eine wirre Entschuldigung murmelnd, davon.
Vielleicht, dachte Augusta, während sie den hastigen Schritten auf der Treppe nachlauschte, ist höfliche Zurückhaltung doch das Richtige. Und auch – vielleicht – ein etwas geringeres Maß an Neugier. Dennoch machte sie sich ohne Zögern auf den Weg in die niederen Gefilde des Personals, um Mrs. Pratt eine schlaflose Nacht und sich selbst überflüssiges Kopfzerbrechen zu ersparen.
***
William Wickenham lag auf seinem Bett, starrte zu der strahlenförmig gerafften goldgelben Seide unter dem Baldachin hinauf und hoffte auf Schlaf. Sein Kopf schmerzte, obwohl er am vergangenen Abend nur wenig getrunken hatte. Es gab Tage, besser gesagt Nächte, in denen er zu viele Gläser Brandy leerte, doch die waren selten, für gewöhnlich trank er Wein, kaum mehr als ein oder zwei Gläser. Das war keine Sache kluger Beherrschung, sondern Ausdruck seiner Angst vor der erdrückenden Melancholie.
Manchmal sehnte er sich nach dem Rausch, der allesleicht und unwichtig machte und dieses kindliche Gefühl der Unverletzlichkeit hervorrief. Doch das empfand er nur, wenn er im Galopp über die Felder jagte, fern von den engen Häuserschluchten, den manierlichen Parks voller manierlicher Menschen, fern von der Eintönigkeit der Vergnügungen und, ja, auch fern von Florence. Er gehörte nicht zu den Glücklichen, die das Zechen heiter machte. Ihn ließ der Rausch sein Leben wie durch eine dieser rußigen Glasscheiben sehen, durch die man eine Sonnenfinsternis betrachtet. Er hasste die Melancholie, die in den letzten Jahren sein steter heimlicher Begleiter war. Als er Florence heiratete, hatte er für einige Zeit geglaubt, nun werde alles gut, doch das war ein Irrtum gewesen.
Er hörte leichte Schritte im Flur, das behutsame Öffnen der Tür und schloss die Augen. George würde ihn nicht stören, selbst wenn der Kammerdiener erkannte, dass sein Herr sich nur schlafend stellte, und genauso leise wieder gehen, wie er gekommen war. Doch die Schritte verharrten, und als er endlich die Augen aufschlug, stand Florence vor ihm. Sie wirkte klein in der Mitte des Raumes.
«Nein», sagte sie, als er rasch von dem Bett glitt und nach seinem Rock griff. «Bleib liegen, du siehst müde aus. Ich will dich nicht stören, ich dachte nur …» Sie senkte den Kopf und drehte nervös einen kleinen gläsernen Tiegel in ihren Händen. «Salbe», sagte sie dann kurz und hielt den Tiegel hoch. «Für deine Stirn. Ich bin sicher, du hast George nicht erlaubt, die Wunde zu behandeln.» Es war unnötig zu erklären, dass der Diener sich genau darüber bei ihr beklagt hatte. George war eine ergebene, um seinen Herrn besorgte Seele, und Williambereitete es aus irgendeinem unerfindlichen Grund Vergnügen, seine Fürsorge zurückzuweisen.
«Hat George wieder geplaudert?», fragte er mit diesem unterkühlten Lächeln, das Florence am meisten fürchtete. «Es ist nur ein Kratzer, kein Grund, Aufhebens darum zu machen.»
Als sie beharrlich stehen blieb und den Stopfen aus dem Tiegel zog, setzte er sich auf die Kante des Bettes und wandte ihr die verletzte Seite seines Kopfes zu.
«Was ist das?», fragte er.
«Honigsalbe. Mit ein wenig Arnika und Zinnkraut. Kein heimtückisches Gift.» Sie tauchte einen Finger in das Näpfchen und begann behutsam die Salbe über seine Stirn zu streichen.
Er schloss die Augen und ertappte sich dabei, die Berührung zu genießen. Ihre Hand war warm und kühl zugleich, von der Salbe ging ein angenehmer Duft aus, oder war das gar nicht der Duft der Salbe? Sein Körper, seit der vergangenen Nacht angespannt und unruhig wie sein Geist, gab nach und spürte eine Ahnung von Frieden.
«Wo warst du gestern?», fragte Florence plötzlich, und der Frieden verschwand schlagartig. «Ich möchte wissen, was passiert ist.»
Er schob ihre Hand, die immer noch seine Stirn berührte, weg und stand auf.
«Wir haben vereinbart, dass jeder seiner Wege geht», sagte er, «ohne den anderen zu beeinträchtigen. Dennoch habe ich nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie ich die Abende verbringe, wenn ich nicht bei deiner Familie sein muss. Du kannst dir also aussuchen, wo ich gestern war: im Theater, im Club, in den Ranelagh Gardens … Wäre ich beim Boxen gewesen, von dem ich nur zu gut weiß,dass deine Mutter es nicht schätzt, wäre die Schramme erheblich
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