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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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täuschen. Doch heute wollen ihm die rechten Reime nicht einfallen, leider, und ich verstehe nur etwas von der Arbeit hinter der Bühne, aber gar nichts von der Poesie. Ihr hingegen sprecht alle Tage in Versen, sicher fallen Euch auch selbst welche ein.»
    Marlowe habe es eilig, er müsse seine Lieder auf der Straße zu Gehör bringen, bevor andere mit der gleichen Nachricht kämen. Seine neue Geschichte sei wahrhaftig toll, aber was könne sich nur auf Unhold reimen. Und auf Grobian?
    Jean mochte ein wenig betrunken sein, dennoch erkannte er gleich, dass hier ein Dienst gewünscht war, der seine Fähigkeiten ausnahmsweise und besonders im Augenblick überstieg. So musterte Ben Marlowe kurz daraufunbehaglich die junge Frau, die sich neben ihn setzte, und fragte, worum es gehe.
    «Um ein schreckliches Ereignis, eine Untat ohnegleichen. Na ja», fuhr er ruhiger fort, weil ihm eingefallen war, dass er noch nicht vor seinem Publikum stand, «heute Nacht ist so ein dummes Ding abgemurkst worden. Keiner rückt damit raus, wieso. Ich weiß nicht, Miss», sagte er plötzlich, «das ist eine böse Geschichte, ich erzähle den Leuten nur böse Geschichten, andere interessieren sie nicht, die Abschriften von dieser werden sie mir aus den Händen reißen. Es ist immer gut für mein Geschäft, wenn einer ein Mädchen totmacht. Ja. Aber für Damen wie Euch ist das nichts.»
    Das war glatt gelogen. Er wusste nur zu gut, dass sich selbst echte Ladys mit einem Krönchen im Wappen an den Tragödien in den schmutzigen Hinterhäusern und unter dem Galgen von Newgate ergötzten. Die da neben ihm saß, führte kaum eine Krone im Wappen, aber sie war doch anders als die Mädels, die Lancing sonst anschleppte. Sie würde keine blutigen Reime zustande bringen, sondern ihn nur aufhalten.
    «Ich bin keine Dame», sagte Rosina und nahm ihm den Bogen aus der Hand. «Ich bin eine Komödiantin. Euer Freund sagt, Ihr sucht Reime auf Unhold und Grobian. Glaubt mir, damit kenne ich mich aus. Mit Reimen wie mit Unholden.»
    «Kann ich auch helfen?» Magnus Vinstedt beugte sich über Rosinas Schulter und versuchte den Text auf dem verklecksten Bogen zu lesen. Vielleicht lag es an dem Hauch von Lavendel, den sein Hemd verströmte, dass Rosina nicht umgehend nein sagte, vielleicht auch nur an Marlowes eifriger Zustimmung.
    «Klar», rief der sichtlich erleichtert, «klar, so wird’s ganz schnell gehen.»
    Rosina rückte einige Zoll von Vinstedt ab, als er sich neben sie setzte, und las vor:
    «Ein schönes Mägdlein kam von ferne,
    über das Meer in unser Land,
    guckt Nacht für Nacht in die Sterne,
    wobei sie gar kein Glück nicht fand.
     
    Strahlblau ihr’ Äuglein, so fein ihr Haar,
    als tät’s die Morgensonn’ beglühn.
    So zart die Taille, fein das Füßchen,
    Jugend und Schönheit – nun dahin.
     
    Ihr Liebster ist ein böser Unhold,
    verfall’n war sie dem Grobian.
    Betrog manch’ Bürger um sein Gold,
    Täglich war Schlimm’s von ihm getan.
     
    Im Gürtel ein verborg’nes Messer   …»
    «Aber da habt Ihr doch die Reime.» Rosina ließ den Bogen sinken und hoffte, ein sehr ernsthaftes Gesicht zu machen. «Unhold und Gold, Grobian und getan.»
    Marlowe nickte bekümmert. «Die sind mir eingefallen, während Lancing Euch holte. Aber sie sind nicht gut. Es stört mich wenig, dass ich die Sache mit dem Betrug und dem Gold eigentlich nicht tatsächlich weiß, die Leute mögen’s gern so, und wer sein Mädel abmurkst, betrügt auch, das ist keine Frage. Aber Gold und Unhold, das ist so gewöhnlich. Findet Ihr nicht?»
    «Überhaupt nicht», sagte Rosina, «Gold und Unhold gehören geradezu zusammen. Wie geht es weiter? Er hatte also ein Messer. Und dann hat er sie erstochen?»
    «Leider nicht, aber in der Kunst», Marlowes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, «ist die großzügige Auslegung der Tatsachen erlaubt. Die Kunst ist frei, oder?»
    «Stimmt. Mehr oder weniger.» Endlich konnte sie offen lachen. «Ihr seid in Eile, Mr.   Marlowe, erzählt trotzdem zuerst die ganze Geschichte. Wenn man weiß, worum es geht, finden sich die Reime leichter. Und schneller.»
    Das sah er sofort ein, nicht zuletzt, weil er es liebte, jungen Frauen Geschichten zu erzählen. Auch wenn er, wie in diesem Fall, gar nicht so viel wusste.
    «Es ist immer das Gleiche», begann er. «So ein junges Ding, verteufelt hübsch soll sie gewesen sein, bekommt Krach mit ihrem feinen Galan, angeblich waren sie ja verheiratet, aber das glaub ich nicht,

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