Die englische Episode
unter einer fremden Grabplatte auf dem Friedhof hinter der Henrietta Street verbuddeln?»
«Das wäre eine hübsche Inszenierung.» Rosina lachte. «Besonders wenn Rudolf dazu ein wenig von seinem Theaterdonner und Feuerwerk veranstaltete. Aber es gibt eine ungefährlichere Möglichkeit: Madame Augusta. Sie ist die Einzige, die jetzt helfen kann. Wenn sie sich beeilt, kommt sie gerade noch recht, bevor die Messer angesetzt werden. Notfalls wird sie die Leiche freikaufen. Sie kann niemand verdächtigen, eher wird sie mit demRichter Tee trinken und ihren selbst gebrauten Rosmarin-Branntwein als das beste Mittel gegen jegliches Zipperlein anpreisen. Glaubt mir, falls der Richter etwas über den verloren gegangenen Felix Landahl weiß, wird sie es erfahren. Sie versteht es, mit frommem Gesicht Leute auszuhorchen. Außerdem», sie lehnte sich triumphierend zurück, «hat sie Alma bei der Senatorin ein- oder zweimal gesehen. Wenn man ihr die Leiche zeigt – sie ist ja nicht zimperlich –, wissen wir bald
ganz
sicher, ob es Alma Severins ist oder nicht. Das muss dann selbst Euch überzeugen, Wagner. Am besten, ich laufe gleich zum St. James Square.»
«Eine sehr gute Idee.» Wagner war völlig egal, was mit der Leiche dieser dummen Gans geschah, der er so viel Verdruss verdankte. Doch es würde von Vorteil sein, wenn er der Senatorin berichten konnte, dass ihre Patentochter vollständig und christlich begraben worden war. «Glaubt Ihr wirklich, Madame Kjellerup wird bereit sein, das zu tun? Es ist nicht leicht und auch nicht, nun ja, nicht passend für eine so vornehme Dame.»
«Was passend ist, legt Madame Augusta sehr großzügig aus», versicherte sie. «Wenn der Anlass auch traurig ist, wird es ihr eher Vergnügen machen, den polierten Käfig am St. James Square gerade für etwas völlig Unpassendes zu verlassen.»
Wagner nickte, doch sein Blick wanderte nachdenklich zum Fenster hinaus.
«Um Madame Augusta braucht Ihr Euch nicht zu sorgen», sagte Rosina, die dieser Blick schon wieder ungeduldig machte, «Ihr kennt sie doch, sie ist immer bereit zu helfen. Und mindestens so neugierig wie ich.»
«Wie? Ach ja, Madame Augusta. Nein, ich sorge michnicht. Ich denke an etwas anderes. Ihr habt gesagt, der Taler war recht schwer. Dabei war er nur aus Silber, Gold ist noch schwerer.»
«Ja, ich habe auch gedacht, dass ein Mieder, selbst wenn es ein winterlich gepolstertes war, kein geeigneter Platz dafür ist. Es muss seinen guten Sitz verloren haben, so etwas fällt auf.»
Wagner hatte keine Ahnung, wie ein Mieder zu sitzen hatte, und ignorierte Rosinas Einwurf. «Sie hat nur einen Teil der Sammlung gestohlen», fuhr er fort, «aber es waren immerhin sechsundzwanzig Münzen. Einige sind nur kleine Kupferstücke, doch die meisten aus Silber und Gold. Zusammen müssen sie ein erhebliches Gewicht bedeuten, man kann sie selbst im Reisegepäck nicht so einfach verstecken. Erinnert ihr Euch an die Zöllner bei unserer Ankunft? Sie waren empörend gründlich. Unsere großen Reisekörbe haben wir nur mit ihrem ganzen Inhalt aus dem Zollhaus bekommen, weil ich da noch das Schreiben mit dem Siegel hatte. Ja. Das Schreiben, es war wirklich meine Schuld.» Er räusperte sich, nahm einen Schluck seines längst erkalteten Kaffees. «Ich hätte eher daran denken müssen, unbedingt. Ich frage mich nämlich, wie die beiden die Sammlung durch den Zoll bekommen haben. Sie hätten eine erhebliche, eine sehr erhebliche Gebühr zahlen müssen. Landahl muss über beachtliche Mittel verfügen. Warum also hat er dann ein Zimmer in einem solchen Haus gemietet?»
«Nach Rosinas Beschreibung gibt es noch schlimmere», sagte Jean. «Trotzdem, sicher hat er beim Zoll nur gut bestochen. Das kommt allemal billiger.»
Bestechung war ein Wort, das Wagner grundsätzlich ignorierte. Auch wenn es um englische Zöllner ging.
«Bestimmt wird im Zollhaus über solche Dinge Buch geführt», vermutete Rosina. «Madame Augusta könnte vielleicht Mr. Cutler bitten, in Erfahrung zu bringen, ob auf einem der kürzlich eingelaufenen Schiffe eine solche Menge an Münzen gefunden oder verzollt worden ist. Ein Kaufmann von seiner Bedeutung wird die für solche Auskünfte nötigen Verbindungen haben.»
Jean fand die Vorstellung, ein mörderischer Spitzbube verzolle brav sein Diebesgut, sehr einfältig. «Kann auch sein, dass die beiden die Sammlung noch in Hamburg verkauft haben», schlug er vor. «Vielleicht hatten sie schon vor dem Diebstahl einen
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