Die englische Episode
Wenn Helena und Rosina in eine Debatte verstrickt waren, so zogen sie es vor, ihre seltenen Auseinandersetzungen zu bezeichnen, wussten sie seine Beiträge selten zu würdigen. Es war im Leben wie auf dem Theater: Die Pointe an der falschen Stelle gesetzt hieß, sie zu verschenken. «Ich würde ja gerne gerne mittun», fuhr er fort, «aber wenn ich mal wieder nicht weiß, worum es geht …»
«‹Mal wieder nicht weiß›?» Die sich gerade glättende Zornfalte auf Helenas Stirn stieg neu auf. «Als wüsstest du nicht immer alles, was bei uns vorgeht. Ich bin es, die nie etwas erfährt. Wo warst du zum Beispiel während der letzten Stunden?»
Das war genau die richtige Stelle für seine Pointe, doch leider war Rosina schneller.
«Lass uns nicht streiten, Helena», bat sie. «Hier ist alles ein bisschen anders als in anderen Städten. Wir geben keine Vorstellungen, es ist so schrecklich viel Neues zu sehen und zu erleben, da geht jeder von uns mal eigene Wege. Ich wollte dir keine Sorge bereiten, ich bin doch nur ein paar Straßen weiter zu einem Zimmervermieter gegangen.»
«Wo gerade ein Mord geschehen ist. Sehr idyllisch! Und was war mit der Druckerei?»
«Dort waren viele Menschen, nichts daran war gefährlich. Außerdem glaube ich nicht, dass Hebbel Madame Boehlichs Faktor getötet hat. Kloths Tod hat ihn erschüttert, obwohl er den Faktor sicher nicht gerade geliebt hat. Im Gegensatz zu Madame Boehlich, die wiederum liebt er sehr offensichtlich. Ihr Wohlergehen war das Einzige, was ihn wirklich interessiert hat.»
«Eben.» Helena schnaufte. «Darum verstehe ich erst recht nicht, warum du ihn für ein Unschuldslamm hältst. Wenn er sie liebt, liegt es doch nahe, dass er einen lästigen Konkurrenten beiseite räumt. Dann hat er freie Bahn. Wenn er auch noch so überzeugend behauptet, er sei schon am Tag vor dem Mord abgereist. Das können wir nicht prüfen. Wieso bist du plötzlich so vertrauensselig?»
Darauf wusste Rosina keine überzeugende Antwort, dennoch zweifelte sie nicht daran, Recht zu haben.
«Wenn du selbst mit ihm gesprochen hättest, würdest du es verstehen», sagte sie. «Aber falls es dich beruhigt, werde ich Muto mitnehmen, wenn ich die gedruckten Listen abhole. Er möchte sich gerne eine Druckerei ansehen, und Hebbel ist gerne bereit, sie ihm zu zeigen.»
«Und ich möchte jetzt wirklich wissen, was passiert ist», rief Jean und schlug mit der Hand auf den Tisch. «Ich habe auch einiges …»
«Gut», unterbrach ihn Helena, «wir holen Wagner und dann erzählt Rosina alles von Anfang an. Alles!», betonte sie, riss die Tür auf, schrie: «Wagner!!!» in den Flur hinaus und ließ sich auf die Bank fallen. «Ich hasse es zu streiten», sagte sie. «Und versprich jetzt nicht wieder, dich zu bessern, Rosina. Dann muss ich mich gleich wieder aufregen. Glaubst du, Mrs. Tottle bringt uns einen Teller dieser butterigen kleinen Haferkuchen und eine Kanne von ihrem dünnen Kaffee?»
Als Mrs. Tottle Kaffee und Kekse brachte, hätte sie sich gerne zu ihren Mietern gesetzt, weil sie aber niemand dazu einlud, verließ sie das Zimmer und drückte im Flur ihr Ohr an die Tür. Obwohl die dünn war, verstand sie leider kein Wort. Solange sie sich manierlich benahmen, das heißt die guten englischen Sitten beachteten, hatte sie nichts gegen ausländische Gäste. Mr. Tottle, so dachte sie stets, ist ständig in der Welt unterwegs und so auch oft ein Ausländer. Ärgerlich fand sie nur die fremden Sprachen, die ihr wie heute die interessantesten Neuigkeiten vorenthielten. Denn dass hinter dieser Tür Wichtiges besprochen wurde, war an dem plötzlichen Schweigen bei ihrem Eintreten mehr als deutlich geworden.
Rosinas Besuch bei Bendix Hebbel fand bei Wagner nur höfliche Aufmerksamkeit. Erst als sie begann, von Mr. Dibber und von Mrs. Milbows Klatschgeschichten zu erzählen, vergaß er, in seinem Kaffee herumzurühren, und hörte gespannt zu.
«Kein Wunder, dass sie Seidenblumen gekauft hat»,sagte Helena schließlich. «Für ein armes Mädchen, das Jahr um Jahr, von früh bis spät für Damen Blumen gemacht hat, muss es geradezu ein Triumph gewesen sein, in einen feinen Laden zu gehen und selbst welche zu kaufen, die andere Hände gemacht haben.»
«Ganz bestimmt», sagte Rosina. «Aber warte, das Beste kommt noch. Zuletzt griff Mrs. Milbow nämlich in eine Schublade und holte etwas heraus, mit dem die junge Frau aus der Half Moon Street ihre Einkäufe bezahlt hatte. Hier»,
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