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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Abnehmer, und Alma hat sich nur ein Nadelgeld abgezweigt und in ihr Mieder genäht.»
    «Nein.» Wagner drückte die geballten Fäuste auf den Tisch und richtete sich abrupt auf. «Die Münzen
müssen
hier sein.»
    Jeans Überlegung erschien ihm auf furchtbare Weise einleuchtend. Doch wenn sie stimmte, war er seit ihrer Ankunft in London ganz umsonst durch die Stadt gelaufen. Und immer auf der völlig falschen Spur.

KAPITEL 8
    Die Schreie begannen leise und hoch, wurden lauter und schriller, hallten durch die Nacht, bis endlich einer verstummte und der zweite in gurgelndem Kreischen brach. Sie schreckte auf, schweißnass und zitternd, lauschte atemlos in die Dunkelheit – und ließ sich beim nächsten Schrei erlöst in die Kissen zurückfallen. Es waren nur Katzen, Rivalen, die sich zwischen den Grabsteinen hinter der kleinen St.-Paul’s-Kirche einen wütenden Kampf lieferten.
    Irgendwo wurde ein Fenster aufgestoßen, eine Männerstimme schrie: «Haut ab, ihr verdammten Viecher!», und tatsächlich, nach einem letzten Zischen und Heulen blieb es still.
    Rosina blinzelte durch die Dunkelheit zu dem anderen Bett hinüber, doch Manons ruhiger Atem verriet tiefen Schlaf. In dieser Nacht würde sie nicht mal Kanonendonner wecken. Sie war am Vortag mit Muto und Fritz zu den Docks und Anlegeplätzen von Blackwall gewandert, hin und zurück ein Weg von etlichen Stunden, und erst am Abend zurückgekommen, todmüde und immer noch begeistert vom Anblick der gewaltigen Schiffe der East India Company, die dort wegen des tieferen Wassers ankerten und ihre Waren aus China und Ostindien für den Weitertransport zu den Anlegern der City auf Leichter umluden.
    Was war es für ein seltsamer Traum gewesen, in den sich das Kreischen der kämpfenden Katzen so bedrohlich eingefügt hatte? Sie schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern, doch wie zumeist im Wachen tauchten auch jetzt nur noch Fetzen der Traumbilder wieder auf. Eine Druckerei, das erinnerte sie genau. Obwohl der Raum sehr niedrig, eng und muffig war, musste es MacGavins Druckerei gewesen sein, denn auch die Hermes-Statue, die dort im Innenhof stand, hatte eine Rolle gespielt, steinern zwar wie in der Wirklichkeit, doch groß wie ein erwachsener Mann und auf dem Kopf statt des Flügelhutes des Götterboten eine staubige Perücke. Das war nur ein besonderer Schabernack ihrer Phantasie, denn in diesem Traum befand sie sich
in
der Druckerei, und Bendix Hebbel, der allerdings nicht sein eigenes Gesicht zeigte, sondern ein fremdes, stand an der Presse und druckte Münzen und Medaillen. Auf blütenweißem Papier, dennoch fielen sie – obwohl frisch geprägt – in altersmattem Gold und Silber aus der Presse und rollten über einen Kabeljau, der sich darunter auf dem Trockenen wand und verzweifelt nach Luft schnappte.
    Was für eine wirre Geschichte. Und zu wem gehörte das schemenhafte Gesicht, das ihr Traum fälschlich Bendix Hebbel zugedacht hatte? Ein wenig erinnerte es an Lord Wickenham, der sich gewiss niemals in eine Druckerei verirrte. Bendix? Felix! Die Vornamen des Druckers und des Mörders, wenn es tatsächlich Felix Landahl gewesen war, der Alma erstickt hatte, ähnelten sich sehr.
    Sie öffnete die Augen, stopfte sich ihr Kissen in den Rücken und schickte die letzten Traumfetzen fort. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie von Madame Augusta und dem blinden Richter geträumt hätte.
    Auch wenn der Weg wahrhaft ungefährlich war, hatte Helena Rosina zum St.   James Square begleitet. In der Halle des Cutler’schen Hauses hatte sie auf den im dezenten Muster verlegten Portlandstein-Boden, auf die ganze Pracht der Ausstattung bis zur ausgemalten, drei Stockwerke hohen Decke gestarrt und schließlich mit kleiner Stimme gefragt, ob das Haus, in dem Rosina geboren und aufgewachsen sei, diesem gleiche. Nein, hatte Rosina versichert, es sei viel älter, auch kleiner und längst nicht so prächtig. Doch Helenas Miene blieb verschlossen; ihre Befangenheit schwand erst, als sie das Haus wieder verließen.
    Der livrierte Diener ließ sie nur zögernd ein, für einen Besuch war der Nachmittag schon zu weit fortgeschritten. So eilte Madame Augusta ihm schon voraus, als er in die Halle zurückkehrte, um die Gäste in den kleinen Salon zu führen. Sie wusste, dass Rosina mit den Gepflogenheiten großer Häuser vertraut war, ihr Besuch um diese ungewöhnliche Stunde musste etwas Besonderes bedeuten.
    Sie hörte berührt, was Rosina zu berichten hatte, und versprach gleich, die

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