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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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weil ich mit dem netten jungen Herrn geplaudert habe, als ich gestern auf dem Markt war. Dabei wollte er nur wissen, ob ich meine Seidenblume selbst gemacht habe, er war wirklich sehr freundlich, und   …»
    «Deine Seidenblume?» Rosina blieb abrupt stehen. «Junger Herr? Warum wollte er das wissen?»
    «Weil er sie schön fand. Ich habe ihm gesagt, dass du sie mir geschenkt hast, zur Hochzeit. Das fand er sehr nett. Dann hat er nach dir gefragt. Dich findet er auch schön, da bin ich ganz sicher. Er hat so gelächelt   …»
    «Mich? Wer war er? Kennst du ihn?»
    «Natürlich, du auch. Es war der junge Herr, der sich in der Taverne zu uns an den Tisch gesetzt hat. Du musst dich an ihn erinnern, er hat dir bei den Versen für den Bänkelsänger geholfen. Er ist sehr nett, findest du nicht?»
    «Sehr nett», murmelte Rosina fröstelnd. Plötzlich wusste sie, wem das Gesicht in ihrem Traum gehörte. Was aber wollte Vinstedt ausgerechnet von Karla?
    «Gut», sagte sie, «machen wir einen Handel. Ich verspreche, deinem Mann nichts von diesem Ausflug zu verraten, jedenfalls nicht in den nächsten Tagen. Dafür versprichst du mir, sofort um die nächste Ecke zu verschwinden, wenn du wieder dem Mann aus der Taverne begegnest. Er heißt Vinstedt, und wir wissen nicht, ob er wirklich nett ist. Versprich, dass du, egal, wie er lächelt, auf keinen Fall mit ihm redest oder ihn gar irgendwohin begleitest. Auf gar keinen Fall – erst recht nicht allein. Und nun komm. Ich fürchte, du hast keine Pfütze ausgelassen, wir müssen sehen, ob wir in Mrs.   Tottles Kücheeinen Eimer Wasser finden. Wenn Wagner diese schwarzen Füße sieht, wird er niemals glauben, dass du die ganze Nacht brav neben ihm geschlafen hast.»
    ***
    Wagner hasste die Kaffeehäuser der Bürger. Nicht dass er viele kannte, doch die Besuche in
Jensens Kaffeehaus
bei der Hamburger Börse, in das er Claes Herrmanns einige Male hatte begleiten müssen, waren genug gewesen. Zwischen all den Männern, die dort über ihre Geschäfte und die Politik redeten oder den neuesten Klatsch aus den Kontoren und dem Rathaus wie aus den Salons der reichen Häuser und der Gesandten debattierten, die fremdländische Weine, Kaffee und Schokolade tranken, als seien die nichts Besonderes, Billard und Karten spielten oder in die dort ausliegenden Zeitungen aus halb Europa vertieft waren, fühlte er sich wie eine staubige Maus. Zum Glück hatte Herrmanns, Großkaufmann und Mitglied der ehrwürdigen Commerzdeputation, ihre Zeche bezahlt. Dabei hatte er sich zwar noch unbehaglicher gefühlt, aber ein schlichter Weddemeister, der auch den Rest der Woche sein Brot essen wollte, konnte sich Jensens Preise nicht leisten.
    Dass er nun an einem Tag gleich zwei Kaffeehäuser besuchen musste, war eine harte Prüfung. Umso härter, als sein in schweren Momenten unverzichtbares blaues Tuch verschwunden war. Er hätte besser aufpassen sollen, als ihn die kleine Rotznase in der Lidgate Street anrempelte und sich so auffällig bemühte, ihm den nicht vorhandenen Staub vom Rock zu klopfen. Er wusste doch, dass die kleinen Diebe ihr Handwerk mit dem Stibitzen vonTaschentüchern übten. An seinem würden sie kaum Freude haben, nur die feinen, spitzengesäumten lohnten sich, billiges blaues Tuch brachte nichts ein.
    So wischte er sich mit dem Ärmel die feuchte Stirn, als er endlich von der Lombard Street in die Pope’s Head Alley einbog. Eine schreckliche Gasse! So eng und dunkel sie war, reihte sich hier ein sündhaft teures Geschäft an das andere, nur unterbrochen von einigen kleinen, doch vornehmen Hotels für wohlhabende Männer aus der Provinz, die in diesem Teil der Stadt zwischen Post, Bank, Börse und den Niederlassungen der großen Handelsgesellschaften ihre Geschäfte machten.
    Er hatte gleich gewusst, dass er für diesen Auftrag der falsche Mann war. Zu Hause in Hamburg zweifelte er nie an seinen Fähigkeiten, jedenfalls so gut wie nie. Dort kannte er jeden Stein, dort wusste er in den Gesichtern der Menschen zu lesen, verstand die Zwischentöne ihrer Sprache zu deuten. Er sah, hörte und spürte, wenn jemand log oder etwas verschwieg, und erkannte gleich, wo er nachhaken musste. Das war ihm so sehr als das selbstverständliche Vermögen eines Weddemeisters erschienen, dass er niemals darüber nachgedacht hatte; nun erkannte er es als den Schlüssel zu seinen Erfolgen. Und damit als fatale Beschränkung. Er brauchte diese menschlichen Signale, allein mit sich und seinem Kopf, mit der

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