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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Zeit an meine Mädchen denken und hab mir Sorgen um sie gemacht. Dabei hab ich mich wohl gefühlt dort oben. Die Freiheit! Keiner schreibt dir vor, was du tun sollst. Du darfst alles selbst entscheiden, wo du leben willst, was du arbeiten willst, wofür du das Geld ausgibst, das du verdienst. Ja genau, man verdient Geld! Und das Leben in einer Gemeinschaft mit anderen Schwarzen ist … also, ich denke, das ist so ähnlich wie bei euch Quäkern. Es fühlt sich gut an. Und ich will, dass meine Kinder das auch haben. Darum gehe ich zurück, um sie zu holen.«
    Â»Wo sind sie?«
    Â»In Virginia.«
    Â»Aber das ist sehr weit! Was ist, wenn man Sie unterwegs einfängt?«
    Â»Wenn sie mich schnappen, wart ich einfach, bis ich wieder ausbüxen kann. Das ist das Vertrackte an der Sklaverei: Sie brauchen dich, um zu arbeiten, deshalb können sie dich nicht die ganze Zeit einsperren. Wer lange genug wartet, findet immer eine Gelegenheit zur Flucht. Darum habe ich auch keine Angst davor, geschnappt zu werden. Sie bringen mich nach Virginia zurück, und dann laufe ich eben wieder weg, aber diesmal mit meinen Kindern. Jetzt, wo ich die Freiheit einmal geschmeckt habe, will ich nicht mehr auf sie verzichten.«
    Honor fühlte sich wie bei den Blinde-Kuh-Spielen ihrer Kindheit. Ihre Geschwister hatten ihr damals die Augen zugebunden und sie herumgewirbelt, und als man ihr das Tuch wieder abnahm, hatte sie in eine ganz andere Richtung geblickt als erwartet. Jetzt kam es ihr vor, als hätte sich das Maisfeld um 180 Grad um sie gedreht. Der Norden war zum Süden geworden und der Süden zum Norden. Sie hatte gedacht, dass sie zusammen mit der Frau nach Oberlin zu Mrs Reed gehen würde, um sich von dort weiter nach Sandusky durchzuschlagen, einer Stadt am Eriesee. Dort hätten sie wie alle Flüchtlinge versucht, nach Kanada überzusetzen. Doch nun musste sie entweder die entgegengesetzte Richtung einschlagen oder allein in den Norden gehen.
    Â»Und wohin wollen Sie ?«, fragte die Schwarze prompt.
    Â»Ich …« Honor wusste es nicht. Bislang hatte sie nur daran gedacht, wovor sie weglief, nicht, wo sie hinwollte. Wenn man vor etwas weglief, schlug man normalerweise die entgegengesetzte Richtung ein. Aber eigentlich musste Honor sich nicht zwischen Norden oder Süden entscheiden, denn sie war ja keine Sklavin, die vor ungerechten Gesetzen flüchtete. Bei ihr lautete die Frage eher, ob sie nach Osten oder Westen wollte – in bekanntes oder unbekanntes Territorium. »Ich komme mit Ihnen nach Wellington, und dort sehe ich weiter.« Lieber ging sie mit der Frau zusammen in den Süden, als nachts allein im Wald zu sein und Metall im Mund zu schmecken.
    Â»Na dann, kommen Sie, wenn es Ihnen wirklich ernst ist.« Die Frau lief wieder voraus durchs Feld und schlängelte sich durch die Maisreihen. Eine Brise war aufgekommen, in der die Pflanzen ganz natürlich hin und her schwangen, sodass die beiden Frauen sich nicht mehr so sehr wegen der von ihnen verursachten Geräusche und Bewegungen sorgen mussten. Trotzdem gingen sie langsam, denn Honor stolperte mehrmals in der Dunkelheit.
    Am Rand des Maisfelds kletterten sie in einen ausgetrockneten Graben und blieben dort eine Weile liegen. Honor wollte wissen, warum. »Wir warten auf den richtigen Moment.« Mehr sagte die Frau nicht.
    Schließlich ritt Donovan vorbei, diesmal allein. Als wolle er die beiden Frauen im Graben necken, verlangsamte er ausgerechnet kurz vor ihnen sein Tempo, um sein Pferd wieder anzutreiben, als er an ihnen vorbei war.
    Â»Er weiß, dass wir in der Nähe sind«, flüsterte die Frau. »Er spürt es. Aber er ist verwirrt, weil er nicht weiß, dass ich … dass wir … nach Süden wollen. Sein Kopf sagt ihm, es kann nur Norden sein, doch sein Gefühl sagt was anderes. Wir müssen nur abwarten, bis er weg ist.«
    Wenige Minuten später kam Donovan zurück. Er hielt sein Pferd an. »Hör zu, Honor Bright«, rief er. »Ich weiß, dass du mit der Niggerin da draußen bist. Pass auf, ich schlag dir einen Handel vor. Du ergibst dich, und ich lasse dich laufen, wo immer du hinwillst. Dein Mann hat mich gebeten, dich zu suchen. Hat mir sogar ’ne ordentliche Stange Geld angeboten, wenn ich dich finde, aber sein Geld ist mir egal, und er selbst erst recht. Ich werde dich nicht aufhalten, wenn du von ihm weglaufen willst. Ich wusste schon immer,

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