Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Euch?«
»Sehr. Und unsere Wirtin ist wirklich überaus entgegenkommend, auch wenn wir sie nur selten zu Gesicht bekommen.«
»Das kann durchaus auch angenehm sein«, sagte Mistress Poyntz. »Natürlich ist Catherine Massys nett … sie besucht uns hier auch von Zeit zu Zeit. Sie ist mit einem der Kaufleute befreundet und eine sehr intelligente Frau. Aber Ihr seid schließlich frisch verheiratet und solltet ein wenig ungestört sein.«
»Sie spricht erstaunlich gut Englisch«, sagte Kate und merkte, wie sie errötete. »Ich fürchte, John und ich waren ein bisschen … ein bisschen zu offen, da wir irrtümlich glaubten, sie würde uns nicht verstehen.«
»Ach du liebe Güte. Das tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht … aber was auch immer Ihr gesagt habt …. ich bin mir sicher, dass die arme Catherine mit Euch als Mieter sehr zufrieden ist. Sie hat zwar sehr an ihrem Bruder gehangen, aber sie befürchtete, dass sein Atelier zu einer Art Schrein werden und von seinen Schülern geradezu überrannt werden könnte. Jetzt kann sie sagen, dass ihre Mieter nicht gestört werden wollen, wenn irgendein Künstler das Atelier ihres Bruders sehen will. Quentin war sehr berühmt. Er hat das Triptychon in der Kathedrale gemalt und war vor allem für seine Porträts bekannt – eines davon hat sogar der große Thomas More lobend erwähnt.« Sie verzog das Gesicht. »Wir kennen Sir Thomas, weil er oft mit den Kaufleuten verhandelt.«
Kates Besorgnis stand ihr wohl ins Gesicht geschrieben.
»Macht Euch keine Sorgen, meine Liebe, unsere Beziehung zu Sir Thomas More ist rein geschäftlicher Natur. Er kommt zwar oft nach Antwerpen, aber er wird niemals ins Englische Haus eingeladen werden. Genausowenig wie der holländische Philosoph Erasmus – ist der Name Euch ein Begriff?«
Kate nickte.
»Nun, man sagt, Erasmus und Sir Thomas More seien die besten Freunde. Sie teilen die Liebe zur flämischen Kultur.« Sie bedeutete ihrem Hausmädchen mit einem Wink, den Tisch abzuräumen. »Quentin hat für Erasmus sogar eine Gedenkmünze graviert. Aber ich interessiere mich nicht sehr für sein Werk. Das von Quentin meine ich, nicht das von Erasmus. Quentins Werk ist sehr … genau. Übertrieben genau, wie ich finde. Auf beinahe absurde Weise ein Abbild der Realität. Was haltet Ihr von seinem Christus, der vom Kreuz herabsteigt?«
»Von dem Bild in der Kathedrale? Ich selbst habe es noch nicht gesehen. Aber in unserem Schlafzimmer stehen noch einige Skizzen … ich weiß, was Ihr mit ›übertrieben‹ meint. Die Skizzen zeigen eine alte Frau in einem altmodischen Kleid. Sie ist wirklich vorzüglich gemalt – man kann jeden Faden in der Stickerei ihrer Hörnerhaube erkennen –, aber sie ist so …«
»Hässlich?« Lady Poyntz lachte.
»Wer sollte ein solches Porträt in Auftrag geben?«
»In der Tat. Aber ich glaube nicht, dass es sich dabei wirklich um ein Porträt handelt – zumindest stellt es niemanden dar, den wir kennen. Es soll wohl lediglich etwas über die Eitelkeit alter Frauen aussagen.«
Das hatte etwas Trauriges und sehr Ernüchterndes … die Eitelkeit alter Frauen, so als wären alte Frauen nicht imstande, sollten nicht einmal versuchen, schön zu sein. Sie warf einen Blick auf John und fragte sich, ob er sie noch schön finden würde, wenn sie beide alt und grau geworden waren. Sie versuchte sich ihn mit grauen Haaren vorzustellen. Aber das Grübchen in seiner Wange hätte er dann immer noch. Er würde noch immer mit derselben Lebhaftigkeit und Begeisterung sprechen, mit der er sich jetzt mit John Rogers, dem Hausgeistlichen, unterhielt. Dieser versicherte ihm gerade, dass er tatsächlich mit William Tyndale in Kontakt stehe und ihm nur allzu gern mitteilen werde, dass auch sein Freund nun in Flandern sei.
Mistress Poyntz entschuldigte sich und ging in die Küche, um das Hausmädchen zu beaufsichtigen. Die Kerzen flackerten in ihren Wandleuchtern. Sie waren fast heruntergebrannt. Kate seufzte frustriert und legte ihre Stickarbeit zur Seite. John warf ihr einen kurzen, liebevollen Blick zu. Dann erhob er sich und wünschte den Kaufleuten lächelnd und Hände schüttelnd eine gute Nacht.
Der Nieselregen hatte sich inzwischen zu einem dicken Nebel verdichtet, als sie den kurzen Weg nach Hause gingen. John griff nach ihrer Hand. Seine Berührung war warm und tröstlich. Die Stimme des Nachtwächters verkündete, dass es neun geschlagen habe und alles ruhig sei – und auch wenn er ihnen das auf Flämisch
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