Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
»Möglicherweise bekommen wir dann hässliche Kinder.«
19
… alte Weiber, die noch immer herumalbern wollen und ihre schlaffen, welken Brüste zeigen … die ihre Gesichter eifrig mit Farbe beschmieren und ständig vor dem Spiegel sitzen.
Erasmus von Rotterdam, wahrscheinlich die Inspiration für Massys’ satirisches Porträt einer grotesken alten Frau.
E s war genauso, wie John es vorausgesagt hatte. Als es auf Weihnachten zuging, fühlte Kate sich in Flandern allmählich zu Hause. Sie hatte sich inzwischen an die lauten Flüche, die in den unterschiedlichsten Sprachen ausgestoßen wurden, und die ausgelassenen Begrüßungen gewöhnt, an das Rattern der Karren, die über das Kopfsteinpflaster rollten, und die klingelnden Pferdeglöckchen vor ihrem Zimmer in dem kleinen Stadthaus. Wenn sie ihre Ruhe haben wollten, brauchten sie nur die großen Fenster zu schließen und die quietschenden hölzernen Fensterläden zuzuziehen, und die Welt war ausgesperrt.
Jeden Morgen, nachdem sie zusammen gefrühstückt hatten, frische Milch und Mertas gebutterte Rosinenbrötchen, ging John zum Grote Markt, wo er in den vielen Zunfthäusern Arbeit als Übersetzer fand. Kate lehnte sich aus dem Fenster und sah ihm nach, wie er die Straße hinunterging. Dann winkte er noch einmal und warf ihr einen Kuss zu, bevor er um die Ecke bog und verschwand. An trüben Tagen war sie wie jede Hausfrau in der Wohnung beschäftigt, fegte den Boden, schüttelte die Kissen auf, legte die Tagesdecke auf das schöne Federbett, strich noch einmal liebevoll mit der Hand darüber – denn es war in der Tat ein sehr schönes Bett.
An klaren, frischen Tagen wagte sie sich sogar bis zum Marktplatz vor. Ihren Korb am Arm, strebte sie dann ebenso entschlossen auf den großen Platz zu wie die Fremden, denen sie begegnete, bis sie schließlich mitten zwischen den überdachten Buden stand. Dann pflegte sie von einem Stand zum nächsten zu schlendern, um ihre Sinne mit den exotischen Waren zu verwöhnen, die dort angeboten wurden. Sie ließ die Finger über eine schöne venezianische Spitze wandern, staunte über die Farben eines Wandteppichs aus Brügge, atmete die würzigen Gerüche von Zimt, Anis und getrockneten Früchten ein. Einmal kaufte sie sogar ein Stück Stoff und etwas Seidengarn, dazu eine sorgfältig mit einer Schablone applizierte Stickvorlage, die einen Brunnen mit einem Einhorn darstellte. John hatte eine kultivierte Ehefrau verdient, und der Wandteppich würde über ihrem Bett bestimmt sehr hübsch aussehen. Zu diesem Zeitpunkt hielt sie es für eine gute Idee.
Sie kaufte frisches Brot und Käse, manchmal auch eine heiße Suppe, die sie dann auf dem kleinen Kohlenbecken warmhielt, das Catherine Massys ihnen hatte bringen lassen, »um die morgendliche Kälte zu vertreiben«. Allerdings spürte Kate nur selten etwas von dieser Kälte, dann sie genoss es, so lange wie möglich mit ihrem frisch angetrauten Ehemann im Bett zu verweilen, tief in die Federn gekuschelt – bis die Morgensonne, die durch das nach Osten weisende Fenster fiel, das Zimmer erwärmt hatte. Vor allem den Bücherständen konnte sie auf dem Markt nicht widerstehen. Immerhin galt Antwerpen als das Zentrum des Buchdrucks. Sie stöberte stundenlang herum – so viele Bücher in so vielen verschiedenen Sprachen. Einige Verkäufer boten sogar englische Bücher an. Erst gestern hatte sie ein Buch gesehen, das sie heute kaufen wollte. Enttäuscht musste sie jedoch feststellen, dass es nicht mehr da war. Sie war sich nicht sicher, ob der Buchhändler sie verstehen würde, wenn sie sich danach erkundigte.
»Luther?«, fragte sie und sprach dabei langsam und deutlich.
Der Verkäufer nickte, suchte ganz unten im Stapel und gab ihr schließlich ein Buch. Sie sah, dass es auf Deutsch verfasst war.
»Englisch?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete er ihr jetzt in ihrer Muttersprache. »Das Buch habe ich auch auf Englisch. Ich habe auch andere englische Bücher, denn viele englische Händler kaufen bei mir ein. Ich selbst beziehe die Bücher direkt vom Drucker.«
Er griff in einen großen Sack und zog drei Bücher heraus. »Ich habe hier Tyndale – es steht zwar Hitchens darauf, aber das ist nur ein anderer Name, den Tyndale verwendet –, dann ist da Erasmus’ Adagia und ein Buch mit Predigten von Luther.« Sie nahm das Buch mit den Predigten. Es war das, was sie gestern gesehen hatte.
»Habt Ihr Eure Ware heute versteckt? Ich dachte nämlich, ich hätte dieses Buch schon gestern
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