Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
hier gesehen.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich lege meine Ware nicht immer aus. Antwerpen ist noch immer eine katholische Stadt, auch wenn die Stadtväter dem Handel zuliebe beide Augen zudrücken.«
Sie nahm das Buch mit den Predigten – es sollte ein Geschenk für John sein, der sicher Freude daran haben würde, es mit seiner deutschen Ausgabe zu vergleichen. Sie war zu der Erkenntnis gelangt, dass das Übersetzen genauso eine Kunst wie eine Wissenschaft war.
»Ich denke, ich sollte es unter dem Käse verstecken«, sagte sie.
»Ach, Euch wird man nicht behelligen. Ausländer werden hier so gut wie nie belästigt.« Er zuckte mit den Schultern. »Und wir sind hier alle Ausländer. Ohne uns würde diese Stadt zusammenschrumpeln wie eines alten Mannes …« Auf seinem kahl werdenden Schädel erschien eine plötzliche Röte. »Was ich sagen wollte, ist, dass wir uns um unsere Angelegenheiten kümmern und die sich um ihre.«
»Das hier nehme ich auch«, sagte sie und nahm eine englische Übersetzung von Homers Odyssee vom Stapel. Der Homer war für sie. John zitierte so häufig aus der Odyssee, dass sie an diesem herrlichen, heroischen Abenteuer teilhaben und den Reiz einer weindunklen See erleben wollte.
Was für ein wunderbarer Ort, dachte sie auf dem Heimweg. John hatte eine gute Wahl getroffen. Hier in Antwerpen waren sie nur zwei weitere Ausländer in einer Stadt voller Ausländer. London schien unendlich weit weg.
Manchmal gingen sie und John bei Sonnenuntergang zu den Docks hinunter, um den Schiffen zuzusehen, die in den Hafen einliefen: portugiesische Karavellen, spanische Galeonen, venezianische Handelsschiffe, alle trugen die bunten Kennzeichen ihres Herkunftslandes. Wann immer sie ein englisches Schiff entdeckte, strengte sie ihre Augen an, um zu sehen, ob es die Siren’s Song war. Dann dachte sie an Endor, die sich über ihren kleinen Backofen beugte, und sie spürte die billige Münze aus Zinn, die sich unter ihrem Hemd zwischen ihre Brüste schmiegte. Sie dachte auch an Kapitän Lasser, wie er auf dem Heck stand und den Horizont mit seinen Adleraugen absuchte.
Heute Abend hatten sie jedoch keine Zeit, zum Fluss hinunterzugehen. Heute Abend gingen sie ins Englische Haus.
Das Englische Haus wirkte heute noch einladender als sonst. Zwar hatte sich ein kalter Nieselregen über die dämmerigen Straßen von Antwerpen gelegt, aber der knisternde Kamin versprach Wärme und Geselligkeit. Der Saal erstrahlte im Licht vieler Kerzen. Die Deckenbalken waren mit Efeu und Stechpalme umwunden. Als Kate dem Hausmädchen ihren Umhang gab, nahm sie einen köstlichen Duft wahr, und ihr Blick wanderte zu dem mit Leinen gedeckten Büfett.
»Wenn dieser Tisch sprechen könnte, dann würde er unter dem Gewicht so vieler Weihnachtspuddings und Braten stöhnen«, flüsterte sie John zu.
»Also werden wir unseren Teil dazu beitragen müssen, ihn von seiner Last zu befreien, meine entzückende Ehefrau.«
Der Klang englischer Stimmen tat ihnen gut. Nicht eine einzige fremde Silbe war zu hören. Sogar das englische Lachen ist anders, dachte sie, und war unendlich dankbar für diese kleine Insel, die ihr heimatliche Gefühle vermittelte. Sie wurden wie alte Freunde begrüßt. Auch Kate erkannte einige vertraute Gesichter unter den acht Kaufleuten, die sich an diesem Abend hier versammelt hatten. Der Kreis der Anwesenden war manchmal größer, manchmal kleiner, je nachdem, ob sie ihre Geschäfte in die Stadt führten. Natürlich stimmte John sofort in ihr Lachen ein; er arbeitete schließlich jeden Tag mit ihnen zusammen.
Für eine Gesellschaft, die zum überwiegenden Teil aus Männern bestand, herrschte ein durchaus kultivierter Ton. Dafür sorgte Lord Poyntz. Es gab zwar ausreichend Ale, aber nicht im Übermaß. Während sich die Kaufleute nach dem Abendessen theologischen Diskussionen widmeten oder sich abenteuerliche Geschichten erzählten, wie sie Bibeln an den Zollbeamten vorbeigeschmuggelt hatten, oder sich beim Karten- und Schachspiel entspannten, setzten sich die beiden Frauen an ihre Stickarbeit. Ihre Gastgeberin lachte, als Kate mit der Nadel verbissen auf ihren Stickgrund einstach, der immer ramponierter aussah.
»Ihr werdet es schon noch lernen, meine Liebe, macht Euch keine Gedanken. Was macht da schon ein kleiner roter Fleck? Nur eine Blüte in einem millefleur -Motiv.« Sie hob den Stoff an ihren Mund und biss den seidenen Faden ab, dann fragte sie: »Wie ist Eure Unterkunft? Gefällt sie
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