Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
versicherte, so hatte Kate ihn doch verstanden, da sie inzwischen ein wenig Flämisch beherrschte.
»Du wirkst so nachdenklich«, sagte John. »Hat es dich ermüdet, dass du so lange in dieser rauen Gesellschaft verweilen musstest?«
»Aber nein! Nun, vielleicht bin ich tatsächlich ein bisschen müde. Aber das Abendessen war köstlich, und ich mag Lady Poyntz.« Der Geruch des Nebels, der vom Fluss heraufzog, und der Geschmack auf ihrer Zunge waren ihr durchaus vertraut. Es erinnerte sie an England. »John, hast du gewusst, dass Sir Thomas More oft als Unterhändler zwischen England und den Kaufleuten vermittelt und er manchmal sogar nach Antwerpen kommt?«
»Das beunruhigt dich also?«
Er seufzte leise. Sie stellte sich vor, wie sich das Atemwölkchen dieses Seufzers mit dem Nebel vermischte und ihm eine angenehme Süße verlieh.
»Nein, das habe ich nicht gewusst. Aber es überrascht mich auch nicht. Antwerpen ist eine bedeutende Stadt. Man erwartet von More, dass er von Zeit zu Zeit hierherkommt.«
»Was ist, wenn ihr euch zufällig begegnet?«
»Nun, dann würde er nicht wissen, wer ich bin. Er würde vielleicht meinen Namen kennen, aber … ich werde wachsam sein. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, mein Engel. Ich bin nur ein kleiner Fisch. Der mächtige Sir Thomas wird sich mit mir nicht abgeben. Es ist Tyndale, der sich Sorgen machen muss. Deshalb wechselt er auch so häufig seinen Aufenthaltsort. Lord Poyntz hat schon mehrfach versucht, ihn davon zu überzeugen, dass er im Englischen Haus am sichersten wäre. Dort würde er Immunität genießen. Auch die deutschen Behörden dürften ihn nicht verhaften. Niemand darf es betreten, es sei denn, er wird ausdrücklich dazu eingeladen.« Er drückte ihre Hand. »Mach dir also keine Sorgen. Uns wird nichts geschehen«, sagte er, als er die Tür zu dem Treppenhaus aufsperrte, durch das sie in ihr Gemach im ersten Stock gelangten.
Als der Nachtwächter verkündete, dass es zehn geschlagen habe und alles ruhig sei, war John bereits eingeschlafen, während sie, in seine Armbeuge geschmiegt, neben ihm lag. Es beruhigte sie, den Schlag seines Herzens an ihrer Wange zu spüren. Sie war gerade dabei, in den Schlaf hinüberzugleiten, als sie sich noch einmal an die Skizze der grotesken alten Frau erinnerte, die sie zur Wand gedreht hatte. »Wirst du mich noch lieben, wenn ich alt und grau bin, John?«, flüsterte sie. »Werde ich dann noch dein Engel sein?«
John schnarchte leise und blieb ihr eine Antwort schuldig. Als Kate sich jedoch auf die Seite rollte, empfand sie plötzlich Mitleid mit der Frau, die für diese Skizze Modell gesessen hatte.
»Na los. Fasst sie ruhig an, wenn Ihr wollt«, flüsterte der König Anne Boleyn leise ins Ohr. »Wenn Ihr Königin seid, werdet Ihr eine eigene haben und ein dazu passendes Salzfässchen«, er warf ihr ein kurzes Lächeln zu, »mit Rubinen, so groß wie Eure Augen.«
Anne zog die Hand zurück. Sie war noch nicht Königin. Nicht solange Katharine von Aragon seine rechtmäßige Ehefrau war. Als sie jedoch ihre Hand zurückzog, berührten ihre Finger kurz die Perlen, die den Fuß der wunderschönen Schale mit Deckel zierten. Sie war das bei weitem erlesenste Stück Tafelgeschirr, das sie je gesehen hatte: aus Bergkristall, Gold, meergrünem Email und mit kostbaren Steinen besetzt.
Am heutigen Abend des Dreikönigstages fand das Maskenfest statt, und Heinrich hatte Anne versichert, dass die Feierlichkeiten in diesem Jahr eine überaus fröhliche Angelegenheit werden sollten. Diesmal hatte sie sich dazu bereit erklärt, neben ihm an der prächtigen Tafel zu sitzen. Die goldene Maske verlieh ihr eine gewisse Anonymität, auch wenn der ganze Hof wusste, wessen Augen hinter dieser mit Juwelen und Federn geschmückten Maske hervorsahen. Da bei einem Maskenfest jedoch ein weniger strenges Protokoll herrschte, hatte Anne schließlich eingewilligt.
Licht und Farbe erfüllten den Saal in Hampton Court. Anne erschien er beinahe wie ein Abbild des Himmels, als sie ihren Blick von ihrem erhöhten Ehrenplatz aus langsam über die Tische schweifen ließ: Die Troubadoure spazierten zwischen den Gästen umher, klimperten dabei auf ihren Lauten; die Mundschenke füllten goldene Pokale an einem Trinkbrunnen, aus dem edler französischer Wein sprudelte; der betörende Duft von Parfüm und Bienenwachs vermischte sich mit den herzhaften Aromen, die aus den Küchen heraufzogen. Das Kerzenlicht tanzte, ließ hier eine edelsteinbesetzte
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