Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Ding, mit billigem Einband, billig gedruckt, nur dazu geeignet, ins Feuer geworfen zu werden. Aber nein, nicht dieses Buch. Dieses Buch war ein Beweisstück. Der Autor des Buches musste den Flammen übergeben werden. Er und all die anderen widerlich stinkenden Ketzer, die versuchten, England mit diesem gotteslästerlichen Schund zu besudeln.
Irgendwo im Garten hörte er ein Tier brüllen. Samson. Der Wärter hatte dem Affen einen kurzen Ausflug aus seinem Käfig gegönnt. Die Triebe in der Erde erwachten, und Samson spürte diese Regungen gewiss auch in sich selbst. Er würde sich auf die Brust trommeln und wild an der Leine zerren, die ihm erlaubte, sich nur innerhalb des ummauerten Gartens zu bewegen, und einen tierischen Schrei von grenzenloser Wut ausstoßen. Thomas blätterte noch kurz durch die anderen ketzerischen Schriften, er empfand durchaus Verständnis für Samsons Zorn, aber er konnte sich nicht auf die Brust trommeln, während sein Brüllen die Stille des schlafenden Chelsea House erschüttern würde. Er, Sir Thomas More, war schließlich ein zivilisierter Mann mit einer humanistischen Bildung. Ein ehrenwerter Mann. Und ein Christ.
Er warf das Neue Testament angewidert auf den Tisch und schlug mit der Faust darauf. Dann stand er auf und schritt, sich in seinen hermelingesäumten Umhang hüllend, aus dem Zimmer. Die Tür fiel hinter ihm krachend ins Schloss, als er sich auf den Weg zur Pförtnerloge machte.
3
Wenn Ihr Luthers Bücher verbrennt, mögt Ihr zwar Eure Bücherregale von ihm befreien, nicht aber den Geist der Menschen.
Erasmus von Rotterdam
D ie Narzissen blühten im Blumenkasten vor dem Fenster von Goughs Druckerei und Buchgeschäft. Weder ihre strahlend gelben Blüten noch der matte Sonnenschein vermochten Kate aufzumuntern. Seit man ihren Bruder vor zwei Wochen verhaftet hatte, hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Er hätte seiner Frau oder ihr gewiss eine Nachricht zukommen lassen, es sei denn, er war im Kerker – oder er war bereits tot. Jeden Tag warteten sie, hofften, dass er heute oder morgen nach Hause kommen würde. Aber die Zeit verging, und John tauchte nicht auf.
Ihre Schwägerin kam jeden Morgen zu ihr ins Geschäft. Wenn die Tür Schlag neun Uhr aufgerissen wurde, brauchte Kate nicht einmal aufzublicken, um zu wissen, wer es war.
»Sag mir, dass er nicht tot ist, Kate. Letzte Nacht habe ich geträumt, dass er im Totenhemd vor mir steht. Sag mir, dass es John gutgeht«, flehte sie Kate an, Tränen in ihren großen braunen Augen, während der Zweijährige sich in ihren Armen wand.
»Er ist nicht tot, Mary. Wenn es so wäre, dann wüsste ich es«, sagte Kate und streckte die Hände nach dem Jungen aus, der von ihr auf den Arm genommen werden wollte. »Das ist nur dein ruheloser Verstand, der in seiner Angst überall Dämonen sieht.«
Was sie nicht sagte, war, dass ihr Bruder in ebendiesem Moment möglicherweise die schlimmste Folter zu erdulden hatte oder im Gefängnis der Lollarden schmachtete, ein grauenvoller Ort, von dem sie als Kind das erste Mal gehört hatte. Die Lollarden wurden jetzt bereits seit zweihundert Jahren verfolgt. Seit John Wycliffe die katholische Kirche wegen ihrer Missstände angeklagt und gefordert hatte, dass die Heilige Schrift aus dem Lateinischen ins Englische übersetzt werden sollte, damit jeder Mensch die Wahrheit selbst erkennen könnte. Ihre Familie hatte sich fast genauso lange in diesem Kampf um die Freiheit engagiert.
Sie vergrub ihr Gesicht in den weichen, blonden Locken des Jungen, spürte die Schädelknochen darunter, als sie ihre Lippen darauf drückte. So hart und dennoch so zerbrechlich. Der Babygeruch erinnerte sie an die kleine Madeline.
»Wenn sie ihn getötet hätten, dann hätten wir das schon erfahren«, sagte Kate, nicht nur um Mary, sondern auch sich selbst zu beruhigen. »Warum sollten sie es tun, wenn nicht, um es laut zu verkünden und so Furcht in die Herzen ihrer Feinde zu säen?«
»Es heißt, dass Wolsey sie nicht sofort umbringen lässt. Dass er ihnen die Möglichkeit gibt, abzuschwören … aber ich bin mir nicht sicher, ob John das tun würde …«
»Für dich würde er es tun, Mary. Für dich und für seinen Sohn.«
»Und damit bist du nicht einverstanden.«
»Ich weiß nicht, was ich an seiner Stelle täte. Ich weiß nur, was unser Vater getan hat. Er starb im Lollarden-Gefängnis, weil er fest zu seinen Überzeugungen gestanden hat. Er wollte nicht davon abrücken, dass jeder Mensch das Recht haben
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