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Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Titel: Die englische Ketzerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Vantrease
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Einmal über die linke Schulter. Einmal über die rechte.
    Zehn. Elf. Zwölf … einen Schlag für jedes seiner Enkelkinder, bis sein Fleisch vor Reue bebte, bis er für all seine Vergnügen bezahlt hatte, sowohl für die harmlosen als auch für die fleischlichen. Dreizehn. Vierzehn. Bis sein Körper und sein Geist ebenso erschöpft waren wie damals, als er das erste Mal einer Frau beigewohnt und seine Berufung verraten hatte. Er wurde zu einem sinnenfreudigen Sünder, der den Zölibat nicht einhalten konnte, aber zu gesetzestreu war, um eine Lüge zu leben wie Wolsey, der einen Kardinalsmantel trug.
    Erst nachdem seine Geißelung beendet, seine sündige Seele gereinigt und die Glut seines Zorns eine Zeitlang eingedämmt worden war, kehrte Sir Thomas wieder zu seinem freitäglichen häuslichen Glück zurück. Im Sommer pflegte er mit seiner Familie auf den weiten Rasenflächen seines neuen Palastes in Chelsea ein Picknick zu machen. Im Winter übte er mit Alice und seinen Töchtern im Söller das Lautenspiel, oder er zog sich in seine Bibliothek zurück, um mit seiner Tochter Margaret über Aristoteles zu diskutieren.
    Aber abgesehen von der Kapelle, wo sein Geist Erlösung erlangte, oder der Bücherei, wo er seine Gedichte niederschrieb, Utopia verfasste und kluge Gespräche mit Meg, seinem Ein und Alles, führte, war der Rosengarten Sir Thomas Mores Lieblingsort. Dort stand ein Vogelhaus, in dem er exotische Vögel hielt, deren Gesang und deren Farbenpracht er liebte. Er hatte auch ein paar Frettchen und einige Wiesel, denen er gern zusah. Und sogar einen Käfig mit einem Affen namens Samson. Die Rosen, benetzt vom englischen Nieselregen oder beschienen von der hellen Sonne, verströmten im Sommer stets ihren süßen Duft.
    Aber es war noch nicht Sommer.
    An diesem frühen Frühlingsmorgen waren die Blattknospen an den kahlen, stacheligen Rosenstöcken noch fest geschlossen. Und dennoch lockte ihn der Garten. In dessen verbotenem Herzen nämlich, in das sich seine Enkel und seine Töchter niemals hineinwagten, gedieh ein Dornenbaum ganz anderer Art, der oftmals unzeitige rote Blüten trug. Aber dieser Baum blühte nur in der Nacht, und jetzt war es noch heller Tag, und Meg wartete schon in der Bibliothek auf ihn.
    Nachdem der Tag geendet und Alice zu schnarchen begonnen hatte und die Geräusche des Hauses allmählich verstummt waren, verließ Thomas seine schlummernde Frau und flüsterte dem Diener, der draußen vor seinem Gemach nächtigte, etwas zu.
    »Es ist wieder Zeit, Barnabas«, sagte er und reichte dem Diener die aufgerollte Peitsche.
    Als er an der Bibliothek vorbeikam, sah er, dass die Tür einen Spalt offen stand und der gelbe Schein von Kerzenlicht in den Flur fiel. Meg arbeitete also wieder bis spät in die Nacht, während ihr Mann allein in seinem Bett lag. Thomas’ Mitleid mit William Roper hielt sich jedoch in Grenzen. Er befürchtete nämlich insgeheim, dass er mit ihm einen lutherischen Ketzer an seinem Busen nährte. Nur mit seiner Lieblingstochter hatte er Nachsicht.
    Er lächelte, dachte daran, wie sie zu dieser späten Stunde noch an ihren griechischen Übersetzungen arbeitete, das Gesicht über das Schreibpult gebeugt, während sich die Worte in ihrem hellen Verstand formten und dann die schöne Handschrift aus den verkrampften Fingern floss. Was spielte es da schon für eine Rolle, dass sie die reizloseste von seinen Töchtern war? Sie besaß einen überaus scharfen Verstand; man konnte sogar sagen, einen schönen Geist. Sie war einfach viel zu gut für William Roper, auch wenn diese Verbindung, so wie alle Ehen, die im Hause der Mores geschlossen wurden, den Wohlstand der Familie gemehrt und ihre gesellschaftlichen Beziehungen erweitert hatte.
    Thomas trug die Fackel, während er und der Diener die dunkle Treppe hinunterstiegen und dann den schlummernden Rosengarten betraten. An den Singvögeln vorbei, die ihre Köpfe unter die Flügel gesteckt hatten und schliefen, vorbei an den Frettchen und den Wieseln, die in der Dunkelheit nach Futter suchten, durchquerten sie den Knotengarten, wo der Rosmarin einen gedämpften Winterduft in die nächtliche Luft entließ.
    Sie erreichten eine kleine Lichtung.
    Das kalte Licht des abnehmenden Mondes hob die Gestalt hervor, die an einen Schandpfahl gebunden war. Mores »Gelöbnisbaum«, wie Bischof Cuthbert Tunstall ihn nannte. Thomas bezeichnete ihn lieber als den Baum Jesu.
    Der Mann war bis zur Taille nackt und an Handgelenken und Knöcheln

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