Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Sumner. Wir werden hier nicht verrotten. Mach dir keine Sorgen. Hier gibt es genügend Salz, um uns zu konservieren«, sagte Frith in dem Bemühen, die Stimmung etwas aufzuheitern. »Sie werden uns freilassen, wenn sie der Meinung sind, dass das lutherische Fieber, das uns befallen hat, wieder gesunken ist. Vielleicht sogar schon morgen. Ich wette meinen Herodot und meinen Vergil, dass wir es alle noch erleben werden, wie Thomas More und Wolsey in ihren katholischen Totenhemden auf der Bahre liegen. Also: Jetzt bist du Odysseus, und ich bin Telemach.« Und er begann wieder zu rezitieren, so als wäre ihre Einkerkerung lediglich eine lästige Unannehmlichkeit, die sie mit Gleichmut zu ertragen hätten.
»Firth, du bist entweder ein Narr oder ein Heiliger. Ich weiß nur noch nicht, was von beidem.«
Ich weiß es auch nicht , dachte er. Aber was auch immer zutraf, er war bereits sehr verunsichert und inzwischen ziemlich entmutigt. Dabei waren sie erst seit drei Wochen inhaftiert. Sei ruhig, mein Herz. Du hast schon Schlimmeres erlebt. Aber John Firth fand nur spärlichen Trost in Homers Worten, denn wann hatte er denn schon Schlimmeres erlebt?
Die Schatten des Nachmittags wurden bereits länger, als Kate ihren, wie sie glaubte, letzten Besuch des Tages machte. Dieser Besuch galt dem Palast des Bischofs von London. Der Geistliche, der ihr die Tür öffnete, runzelte die Stirn, als er sie erkannte.
»Bischof Tunstall ist in einer Besprechung.«
»Aber das war er doch auch schon gestern.«
»Und das wird er auch morgen sein. Hört zu, Mistress. Ich möchte wirklich nicht unfreundlich zu Euch sein. Ich versichere Euch, dass ich ihm Eure Nachricht übermittelt habe. Er sagt, dass er von dieser Angelegenheit keine Kenntnis hat. Ihr solltet also beim Sheriff oder beim Bürgermeister von London ein schriftliches Gesuch einreichen.«
»Das habe ich bereits getan. Mehrmals sogar. Ich habe die Direktoren von Newgate und sogar von Old Compter bestochen. Sie behaupten, noch nie von einem John Gough gehört zu haben.«
»Habt Ihr schon im Fleet gefragt?«
»Ja, das habe ich.«
Kate versuchte mit sanfter Stimme zu sprechen. Mit Schärfe würde sie bei dem Geistlichen bestimmt nichts erreichen. Er war jung und hatte ein freundliches Gesicht. »Bitte. Ein Mann kann doch nicht einfach so verschwinden. Mein Bruder war ein rechtschaffener Bürger … ist ein rechtschaffener Bürger.« Nein, sie würde nicht in der Vergangenheitsform von ihm sprechen. »Er ist Buchhändler und Drucker und hat einen guten Ruf.«
Das Gesicht des Geistlichen erhellte sich.
»Ah, ein Drucker.« Dann verhärtete sich sein Gesichtsausdruck mit einem Mal. »Versucht es im Lollardenturm«, sagte er. Bevor sie ihm entgegnen konnte, dass sie bereits im Lambeth Palace mit seinem berüchtigten viereckigen Turm nachgefragt hatte, in dem bekannterweise Ketzer gefangengehalten und gefoltert wurden, schlug er ihr die Tür vor der Nase zu. Zum Lollardenturm war sie gleich in der ersten Woche gegangen. Das Herz hatte ihr bis zum Hals hinauf geschlagen, und sie wäre vor Erleichterung fast in Ohnmacht gefallen, als ihr der Direktor sagte, dass das Gefängnis voll besetzt sei und sie deshalb schon seit Wochen keine neuen Gefangenen mehr aufgenommen hätten. Wenn dem so ist, dann wollen sie John vielleicht doch nur einschüchtern und werden ihn schon bald wieder gehen lassen, hatte sie gedacht. Aber die Erleichterung hatte nicht lange angehalten, als die Tage vergingen und er nicht zurückkam.
Sie hob die Hand, um noch einmal an die Tür zu klopfen, ließ sie jedoch wieder sinken. Was hätte das für einen Sinn? Zudem wurde es langsam spät. Mary würde bestimmt daheim sein wollen, bevor es dunkel wurde. Sie sollte jetzt also besser nach Hause gehen, auch wenn sie es hasste, das traurige Gesicht ihrer Schwägerin zu sehen, wenn sie wieder einmal ohne Neuigkeiten zurückkam. Als sich Kate jetzt dem Friedhof von St. Paul näherte, bog sie nicht in die Paternoster Row ein, sondern ging am Ludgate Hill vorbei in westlicher Richtung weiter.
Es blieb ihr noch Zeit, um ein weiteres Mal im Fleet-Gefängnis nachzufragen.
Die Ausdünstungen des Flusses Fleet wurden immer schlimmer, je näher der Abend rückte. Den ganzen Tag lang hatten sich Abfälle und Abwässer aus den offenen Abflussgräben der Stadt in den Fluss ergossen, bis dieser schließlich als widerlich stinkende Kloake in die Themse mündete. Der Geruch ließ sie mehrmals würgen, aber ihr Magen war leer. Sie
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