Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Bezahlung, aber sie war angemessen angesichts diesen fehlgeschlagenen Auftrags. Er hoffte inständig, dass Heinrich seine Dienste nie wieder in Anspruch nehmen würde. Eine zweite Enttäuschung würde man ihm vielleicht nicht mehr verzeihen. Den König verärgerte man besser nicht. Er war froh, dass er nicht in William Tyndales Haut steckte – oder in der von John Frith.
Anne Boleyn hielt sich noch immer in Hever auf, wartete noch immer. Es war jetzt schon mehrere Monate her, dass der König sie zu sich gebeten hatte. Manchmal glaubte sie, vor Langeweile sterben zu müssen. Hin und wieder suchte sie sogar den Priester auf, den Heinrich ihr gesandt hatte und der sie sowohl in Geduld als auch in den Feinheiten des reformierten Glaubens unterwies.
»Die alte Königin hat zwar ihre Anhänger, aber die habt Ihr auch, Mylady. Und der König schenkt Euch und nicht ihr Gehör. Ihr werdet eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des reformierten Glaubens spielen. Vergesst nicht, dass Ihr viele Befürworter habt.«
Wie zur Bestätigung seiner Worte stand an einem schönen, trockenen Tag Ende September, als ihr Leben wie ihr Garten zu verwelken schien, Thomas Cromwell mit einer Einladung vor ihrer Tür. Heinrich Rex wünsche, dass sie unverzüglich nach Hampton Court zurückkehre. Er habe einen hochstehenden Repräsentanten des Hofes geschickt, um sie zu begleiten.
26
Aber wenn ich Gott genauso gewissenhaft gedient hätte, wie ich dem König gedient habe, dann hätte der Herr mich nicht verlassen, als meine Haare grau wurden.
Kardinal Wolsey, als er als Verräter verhaftet wurde.
D as Tageslicht verblasste bereits, als man Thomas Wolsey von der Barkasse führte, mit der man ihn zum Verrätertor des Londoner Towers gebracht hatte. Als der Kardinal die Stufen am Wasser hinaufging, warf das Licht der Fackel seinen Schatten auf die Umfassungsmauer am Themseufer. Im flackernden Licht schien er geschrumpft zu sein. Die steinerne Treppe, die zum Hauptturm des Tower führte, machte eine Wendung, und sein Schatten wuchs zu riesenhafter Größe an, dann zwei weitere Treppen, und er war nur noch ein Gespenst. Wäre Wolsey ein nachdenklicherer Mensch gewesen, hätte er vielleicht innegehalten, um darüber nachzusinnen, was dieses launenhafte Schattenspiel bedeuten mochte. Aber solch ein Mensch war er nicht.
Seine Hauptsorge galt in diesem Moment dem beständigen Brennen in seinen Eingeweiden, das zu einem lodernden Feuer aufgeflammt war, als die Soldaten des Königs mit der Vorladung der Krone erschienen waren. Er konnte nur noch seine Würde bewahren und sich aufrecht halten, als er jetzt das prächtig ausgestattete Quartier des Gefängnisvorstehers betrat.
Während der Fahrt nach London hatte er sich einzureden versucht, dass ihn nichts Schlimmeres als eine Ermahnung des Königs erwarten würde. Es war ihm bisher immer gelungen, Heinrich seinen Willen aufzuzwingen. Der König mochte in dieser Welt über Leben und Tod gebieten, aber als Vertreter des Papstes gebot Wolsey über Leben und Tod im Jenseits: »Was Ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein.« Und dies war ein höchst wirksames Mittel, um einen Mann unter Kontrolle zu halten – sogar einen König. Die Soldaten, die ihn im Kapitelsaal in York verhaftet hatten, hatten ihn mit dem gebotenen Respekt behandelt. Sie hatten ihn »Euer Eminenz« genannt, hatten ihm sogar geholfen, eine Truhe zu packen, und ihm gestattet, dass zwei seiner Diener ihn begleiteten. Jetzt warteten sie mit seinen Sachen vor dem Quartier des Gefängniswärters.
Als der Constable eintrat, kam Wolsey die Galle hoch. Er konnte Sir William Kingston nicht ausstehen. Er vereinnahmte ausgeklügelte Gebühren und erpresste Gelder von den Gefangenen, und er war für Wolsey nichts anderes als ein gewissenloser Opportunist und Ausbeuter. Constable des Towers zu sein war außerhalb der Kirche einer der einträglichsten Posten in England. Es kam einem kleinen Lehen gleich: Jedes Schiff, das stromaufwärts nach London fuhr, musste am Towerkai anlegen und dort einen Zehnten der Waren abliefern, die es transportierte. Alles, was auf dem Towerhügel wuchs, was sich dort bewegte oder unter der Towerbrücke schwamm, stand ihm zu. Und dann waren da natürlich noch die Gebühren, die er den Gefangenen für seine »Gemächer aus Eisen« abnahm. Hätte der Kardinal darüber nachgedacht, wäre ihm vielleicht der Gedanke gekommen, dass der Constable sich im Vatikan absolut zu Hause gefühlt
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