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Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Titel: Die englische Ketzerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Vantrease
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Genugtuung würde er ihnen nicht gönnen. Er wusste, dass alles, was er sagte, unverzüglich dem Constable berichtet wurde, der es wiederum an den König weitergab. Wenigstens seine Kleidertruhe hatte man ihm gelassen, auch wenn von seinem Diener weit und breit nichts zu sehen war.
    »Wärter, darf ich Euch bitten, mir einen sauberen Nachttopf zu bringen. Und einen Krug mit Wasser. Ich werde versuchen, Euch mit meiner Gegenwart nicht zu sehr zu belästigen.« Und dann, nach einer Pause, fügte er hinzu: »Jede gute Tat, die Ihr dem Diener des Herrn in der Stunde der Not angedeihen lasst, wird im Himmel nicht unbemerkt bleiben. Ich werde für Eure Seele beten.«
    »Spart Euch Eure Gebete, Kardinal. Ich brauche sie nicht. Ich spreche meine Gebete selbst. Aber ich werde Euch Wasser holen und auch Euren Nachttopf leeren, und zwar aus christlicher Nächstenliebe. Meine englische Bibel gebietet mir nämlich, meine Feinde zu lieben.« Dann schloss er die Tür hinter sich.
    Das, was Wolsey niemals für möglich gehalten hatte, war also eingetreten: Der König von England hatte beschlossen, mit Rom zu brechen. Andernfalls hätte er es niemals gewagt, einen Kardinal zu inhaftieren. Diese Boleyn musste den König verhext haben. Es wurde immer offensichtlicher, dass Heinrich alles tun würde, nur um sie zu besitzen – im fleischlichen Sinn wohlgemerkt. In gewisser Weise verdiente diese Frau Bewunderung. Er kannte Fürsten, denen die Gerissenheit und die Schlauheit dieser Hure fehlten, und er kannte Lords, die zu feige waren, um solche riskanten Machtspiele zu treiben. Wenn die Dirne so wie ihre Schwester für den König die Beine breit gemacht hätte, wäre es überhaupt nicht zu dieser Krise gekommen.
    Aber es war bestimmt nicht ihre Tugend, die sie verteidigen wollte. Über ihr gegenteiliges Verhalten am französischen Hof wurde offen geredet, und er hatte sie mit eigenen Augen mit dem jungen Percy gesehen – zugegebenermaßen waren sie nicht bis zum Äußersten gegangen, aber es hatte nicht viel gefehlt. Trotz all ihrer Schlauheit hatte die Füchsin keine Ahnung, welches Chaos sie verursacht hatte. Hielt sie sich wirklich für unbesiegbar, wenn Heinrich den mächtigsten Mann von England so abscheulich behandelte und seine vom Volk geliebte Königin verstieß? Der König würde ihrer schon bald überdrüssig werden. Aber er fürchtete, dass er es nicht mehr erleben würde, wenn sie das bekam, was sie verdiente.
    Der Wärter kam mit einem Krug voll frischem Wasser wieder und nahm, die Nase rümpfend, den Nachttopf mit.
    »Ich danke Euch, verehrter Herr«, sagte Wolsey, sich ungewöhnlich bescheiden gebend.
    Man stelle sich nur vor, dass die Hände, die diesen Schmutz berühren, die Heilige Schrift anfassen , dachte er, als er sich bekreuzigte und dem Wärter hinterhermurmelte: »Benedicte.«
    Der Wärter kehrte ein paar Minuten später zurück und fand ihn, sich vor Schmerzen krümmend, auf dem Boden liegend. Sofort machte er sich auf die Suche nach einer Pritsche und einem Arzt. Es wäre nicht gut, dachte er, wenn ein so berühmter Mann während meiner Wache stirbt.
    Am ersten Abend nach Anne Boleyns Rückkehr nach Hampton Court speiste man in kleiner Runde. Das Abendessen wurde nicht im großen Saal serviert, sondern im Wachzimmer, von dem aus man zum Audienzsaal und den königlichen Gemächern gelangte. Nur die ranghöchsten Höflinge waren zugegen. Einen kurzen Moment lang überfiel Anne ein Gefühl der Angst, als sie ihren Platz neben dem König einnahm und an den Neujahrstag dachte, als sie das letzte Mal in den königlichen Gemächern gewesen war und einige der jetzt anwesenden Höflinge Zeuge ihrer Demütigung geworden waren. Aber falls sie sich daran erinnerten, ließen sie sich das klugerweise nicht anmerken. Nur Brandon besaß – unter dem Vorwand, sie willkommen zu heißen – die Frechheit, ihre Abwesenheit bei Hofe anzusprechen.
    Während sie in ihrer Taubenpastete und der mit Honig gesüßten Ochsenzunge herumstocherte, zeigte sie sich überrascht, dass Heinrich die Wandbehänge in diesem Raum nicht hatte austauschen lassen. Die Renovierung von Hampton Court nach Wolseys Weggang beschränkte sich nicht nur auf die Teppiche, die in Auftrag gegeben worden waren und die Geschichte Abrahams darstellen sollten, sondern betraf jeden Winkel des Palastes. Es schien, als wollte der König beweisen, dass der so gerühmte Palast des Kardinals doch nicht so prächtig war, wie allseits behauptet wurde. Man konnte die

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