Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
lateinischen Text versteht«, sagte er und lächelte über seinen eigenen Witz.
Er wartete geduldig, während John las. Der Mann hatte anscheinend die Wahrheit gesagt. Es war eine volle Amnestie – allerdings machte der König zur Bedingung, dass »Master Frith« von diesem Tag an keine ketzerischen Schriften mehr verfasste und »Master Tyndale« seine illegalen Übersetzungen sofort beendete. Die beiden Männer sollten stattdessen ihre Fähigkeiten und ihren Verstand ausschließlich in den Dienst des Königs stellen.
»Falls Ihr dieses Dokument für eine Fälschung haltet, so bedenkt bitte, dass es Verrat wäre, die Unterschrift und das Siegel des Königs zu fälschen.«
»Es scheint so zu sein, wie Ihr gesagt habt. Aber ich werde in Ruhe über diese Amnestie nachdenken müssen«, sagte John. »Ich werde auch mit meiner Frau darüber sprechen. Dafür habt Ihr sicher Verständnis.«
Vaughan zuckte bestätigend mit den Schultern.
»Ich nehme an, dass Ihr im Haus der englischen Händler wohnt. Wie Ihr wahrscheinlich wisst, hat man mir dort den Zugang untersagt. Werde ich Euch morgen hier im Kontor antreffen?«
»Nein, aber am Donnerstag. Ihr werdet meine Antwort am Donnerstag erhalten.«
»Sehr gut«, sagte Vaughan. »Das ist in der Tat sehr gut.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, so als überlege er sich seine nächsten Worte ganz genau. »Ich würde mir niemals anmaßen, Euch in dieser Angelegenheit einen Rat zu geben. Ich bin nur der Bote. Aber seid versichert, Master Frith, ich habe weder die Befugnis noch den Wunsch, Euch zu verhaften. Ich werde Euch nicht weiter verfolgen, ganz gleich, wie Ihr Euch entscheiden solltet. Ich darf hinzufügen, dass ich das von anderen nicht behaupten kann.«
Er sprach dabei mit einer solchen Aufrichtigkeit, dass John ihm beinahe glaubte.
»Zeigt das Dokument Eurer Frau. Und falls Ihr William Tyndales Aufenthaltsort kennt, würde ich vorschlagen, dass Ihr es ihm ebenfalls zeigt. Ich bin mir sicher, dass Ihr Eurem Freund damit einen großen Dienst erweisen würdet. Der Kanzler hat nämlich bereits seine eigenen Spione auf ihn angesetzt.«
Er stand auf und ging zur Tür. Sich an die Mütze tippend, sagte er: »Bis Donnerstag.«
Wenige Minuten später verließ John das Kontor. Die Einladung und den Straferlass des Königs trug er in der Tasche. Er ging jedoch nicht nach Hause, sondern direkt zum Englischen Haus.
Am Ende der folgenden Woche war Stephen Vaughan wieder in London. Wieder führte man ihn zum König, wieder bedrückte ihn die Angst, schwer wie ein Kettenpanzer, als er durch die Tore von Whitehall trat. Nach einer Begegnung mit Tyndale hatte er dem König in einem Schreiben mitgeteilt, dass er einen erfolgreichen Ausgang der Angelegenheit für unwahrscheinlich halte. Heinrich war offensichtlich in guter Stimmung, und nun muss ich ihm als Überbringer dieser schlechten Nachricht die Laune verderben, dachte Stephen. Aber er hatte seinen Auftrag erfüllt. Wie konnte man ihn für das Ergebnis verantwortlich machen?
»Euer Majestät?« Stephen verbeugte sich zuerst tief vor dem König, dann machte er eine angedeutete Verbeugung vor dem Herzog von Suffolk. »Euer Gnaden.«
»Vaughan. Endlich.« Der König schob seinen Stuhl zurück und erhob sich.
Er hat zugenommen, dachte Stephen, dem sofort aufgefallen war, dass Heinrichs Wams ein wenig spannte. Dieses Jahr hatte er wohl weniger Zeit auf dem Turnierplatz verbracht. Erst jetzt bemerkte er das Schachbrett, das zwischen Heinrich und dem Herzog von Suffolk stand.
»Lass uns allein, Brandon. Wir wollen unter vier Augen mit Master Vaughan sprechen. Er ist im Auftrag der Krone unterwegs gewesen.« Und dann fügte er mit einem Blick auf das Schachbrett hinzu: »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir werden das Brett nicht anrühren. Du wirst ohnehin verlieren.«
Als Brandon aufstand und davonstolzierte, fragte Vaughan sich, welcher Narr es wagen würde, den König beim Schach – oder bei sonst irgendeinem Spiel – zu schlagen. Nun gut, vielleicht Brandon, dachte er. Immerhin hatte er ihn auch gelegentlich schon in einem Turnier besiegt und sogar gewagt, ohne Erlaubnis des Königs dessen Schwester zu heiraten. Aber ihm war offensichtlich verziehen worden. Stephen hoffte, dass Heinrich noch immer in guter Stimmung war.
»Setzt Euch, setzt Euch. Dort auf Suffolks Platz«, sagte Heinrich. »Und sagt mir, welche Neuigkeiten Ihr für mich habt. Cromwell hat mir
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