Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
seine Ausbildung erhalten hätte, auch in der Lage gewesen wäre, Hebräisch oder wenigstens Griechisch zu lernen. Sie überlegte manchmal sogar, ob er ihr die klassischen Sprachen beibringen könnte, so wie ihr Bruder ihr beigebracht hatte, Englisch zu lesen. Als sie ihm, über seine Schulter schauend, einmal eine Frage zu den tanzenden Schnörkeln gestellt hatte, hatte er ihr jedoch nur ungeduldig geantwortet:
»Das ist kein richtiges Alphabet, Kate. Es ist ein bisschen komplizierter.«
»Aber die griechische Schrift des Neuen Testaments, das William übersetzt hat, hat ein Alphabet, nicht wahr? Alpha für den Buchstaben A?«
»Hmmm.« Ohne aufzublicken, hatte er einfach weitergeschrieben. »Das«, sagte sie und zeigte auf einen griechischen Text, der zwischen anderen auf dem Schreibtisch verstreuten Unterlagen lag. »Das ist beta , richtig?«
Da sah er auf und küsste ihre Hand, die auf die griechischen Buchstaben deutete.
»Hast du etwa vor, deinen kleinen Gelehrten Griechisch beizubringen?« Er lachte.
»Vielleicht«, sagte sie und ärgerte sich ein wenig über ihn. »Vielleicht könntest du auch einmal ausnahmsweise am Freitag bei uns vorbeikommen und uns in den Genuss deines brillanten Verstandes kommen lassen.«
»Ja, das könnte ich durchaus«, sagte er. »Aber würdest du deinem durstigen Mann jetzt erst einmal einen Becher Apfelwein holen?«
Sie brachte ihm den Apfelwein. Wenigstens erhob er inzwischen keine Einwände mehr gegen ihre Treffen mit den Bibelfrauen. Natürlich sind es für ihn keine Bibelfrauen, dachte sie ein wenig schuldbewusst, weil sie nicht ganz ehrlich zu ihm gewesen war. Sie erzählte ihm kaum etwas über das gemeinsame Lesen der Heiligen Schrift, die ernsthaften Diskussionen oder die inständigen Gebete. Auch dass sie sich an den Händen hielten und stets ein Schlusslied sangen, verschwieg sie ihm. Stattdessen speiste sie ihn, wann immer er sich nach den Treffen erkundigte, mit dem Klatsch und dem Tratsch ab, den sie und die anderen Frauen vor der Andacht austauschten: eine witzige Bemerkung, die Hulda über die fromme Frau des Bäckers gemacht hatte, oder Carolines Klage darüber, dass ihr Mann ständig anderen Frauen nachsah. Sie war nicht ehrlich zu ihm und hatte deshalb ein schlechtes Gewissen. Manchmal jedenfalls. Aber nicht, wenn er sie zu seinem Laufburschen machte oder sie wie ein Kind behandelte.
Bis Allerheiligen führte Kate die Geschäftsbücher des Englischen Hauses so ordentlich, dass sie bei der Prüfung durch das Kontor der Hanse ohne jede Beanstandung blieben. Also widmete sich Kate jetzt wieder dem zerzausten Esel-Einhorn-Untier. Dieses Ding war jedoch inzwischen zu einer überaus peinlichen Angelegenheit geworden. Selbst die freundliche und stets auf Rücksicht bedachte Mistress Poyntz hatte vorgeschlagen, dass sie vielleicht doch eine andere Stickerei beginnen sollte, jetzt da sie an dieser so viel geübt hatte. Kate war jedoch noch immer fest entschlossen durchzuhalten – bis zu dem Tag, als es zu dem Vorfall mit der Nadel kam.
Sie bürstete sich vor dem Zubettgehen noch ihre Haare und dachte darüber nach, wann sie ihre letzte Blutung gehabt hatte. Sie hatte einen Brief von ihrem Bruder John erhalten, in dem er ihr berichtete, dass das Haus jetzt fertig sei und es ihm, Mary und dem kleinen Pipkin gut gehe. Er habe als Schreiber genügend Arbeit, um die Lebensmittel zu kaufen, die sie nicht selbst anbauen konnten. Es werde sie vielleicht freuen zu hören, dass er die reformerischen Gedanken doch nicht völlig aufgegeben habe und sich von ihr dazu habe inspirieren lassen, eine eigene, kleine Bibelstunde für Freisassen abzuhalten. Er brachte den einfachen Leuten das Lesen bei und hatte sogar eine einfache Druckerpresse aufgestellt, um einzelne Blätter der englischen Bibel als Textvorlage drucken zu können.
Dann hatte er zum Schluss noch eine weitere gute Nachricht für sie: Sie würde schon bald wieder Tante werden – und fragte in diesem Zusammenhang, wann er denn endlich Onkel werde?
Ja, wann? Es war jetzt schon einige Monate her, seit sie das Kind verloren hatte. Warum war sie nicht wieder schwanger geworden? Seit jener Zeit auf dem Schiff gewiss nicht aus Mangel an Gelegenheit. Die alte Hebamme, die sie zu Rate gezogen hatte, hatte ihr gesagt, dass eine Frau an bestimmten Tagen fruchtbarer war als an anderen, aber Kate konnte sich leider nicht mehr daran erinnern, an welchen Tagen. Johns Schmerzensschrei riss sie aus ihren Gedanken.
»Bei allen
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