Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Sohnes mit derselben Sorgfalt geplant hatte, wie er eine rechtliche Beweisführung aufbaute. Eine Zukunft als Jurist am Lincoln’s Inn und nicht als Theologe in Oxford, wie man ihm später klarmachen sollte.
Als Thomas glaubte, er könne keinen einzigen Schritt mehr gehen – er hatte in den drei Tagen, die sein Vater im Sterben lag, weder geschlafen noch gegessen, während er als pflichtbewusster Sohn am Sterbebett seines Vaters Wache gehalten hatte –, trat plötzlich seine Tochter Margaret neben ihn und bot ihm ihren Arm an. Gemeinsam legten sie die letzten Schritte zum Friedhof zurück. Die Begräbnisfeierlichkeiten waren relativ bescheiden, jedenfalls bescheidener, als man es bei einem so berühmten Mann erwartet hätte. Sein Vater hatte das so verfügt, als er wusste, dass er sterben würde. Der Priester des Sprengels hielt die Totenmesse. Dreizehn Trauernde – genauso viele wie beim letzten Abendmahl – versammelten sich um das Grab. Thomas sah, von Fassungslosigkeit betäubt, wie der Sarg seines Vaters mit Weihwasser besprengt und dann langsam in das steinerne Grab hinabgelassen wurde.
Nach dem Leichenschmaus im Haus in der Milk Lane, bei dem einige sehr wichtige Persönlichkeiten anwesend gewesen waren und bei dem die jetzt verwitwete vierte Ehefrau seines Vaters am Kopf der Tafel gesessen hatte, hatte Thomas den größten Teil der Nacht im Zimmer seiner Kindheit wach gelegen und zu begreifen versucht, dass sein Vater nicht in dem prächtigen geschnitzten Bett im Zimmer unten schlief, sondern in der kalten Erde des St.-Lawrence-Friedhofes ruhte. Aber erst nachdem ihm bewusst geworden war, dass er in den Sälen von Westminster nicht länger seinem Vater begegnen und respektvoll das Knie vor ihm beugen würde, erkannte er, dass das ehrgeizige Ziel seines Vaters, nach dem sein Sohn Kanzler von England wurde, in Erfüllung gegangen war.
Den Rest der Geschichte musste Thomas jetzt selbst schreiben. Er hatte seine Pflicht gegenüber seinem Vater erfüllt. Jetzt war er frei, um der Kirche zu dienen.
»Was meinst du, John?«, fragte Kate und trat hinter ihren Mann, der über seinen Schreibtisch gebeugt dasaß. Sie wedelte mit Catherine Massys Einladungsschreiben vor seiner Nase herum. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich hinfahre?«
Er überflog den Brief, runzelte die Stirn und gab ihn ihr zurück.
»Bist du dir sicher, dass du das wirklich tun willst?«, fragte er, was im Klartext bedeutete: Mir wäre es lieber, du fährst nicht.
»Es wäre nur für ein paar Tage. Catherine schreibt, dass ich mit Quentins Sohn und seiner Frau hin- und auch wieder zurückfahren kann. Es ist absolut ungefährlich. Leuven ist doch nur eine Tagesreise von hier entfernt.«
»Das wird anstrengend für dich. Natürlich würde es mir etwas ausmachen. Du würdest mir fehlen. Und außerdem: Was ist mit eurem Frauen … treffen?«
»Quentins Sohn will erst am Samstag aufbrechen, ich werde also nur eine Versammlung versäumen. Überleg doch nur, wie weit du mit deiner Arbeit kommst, wenn ich nicht da bin und dich ständig ablenke.«
»Du lenkst mich niemals ab.« Er lächelte und gab ihr einen flüchtigen Kuss. »Es ist die Arbeit, die mich von dir ablenkt.«
»Du bist ein wirklich charmanter Schmeichler, John Frith.« Sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Aber ich habe mich inzwischen so sehr an deine Schmeicheleien gewöhnt, dass ich nicht mehr auf sie verzichten will. Ich werde Catherine sagen, dass ich mich über ihre Einladung freue, aber nicht so lange von meinem Mann getrennt sein will«, sagte sie.
»Das ist gut«, meinte er.
Als sie John jedoch an diesem Abend zusah, wie er bei Kerzenlicht an seiner Übersetzung arbeitete, überlegte sie es sich doch anders.
»Es wären wirklich nur ein paar Tage. Bevor du mich überhaupt vermisst, bin ich schon wieder da«, sagte sie.
»Ich werde dich schon in der ersten Minute vermissen.«
Er legte seine Feder zur Seite und streckte sich. Sie trat hinter ihn und massierte seinen Nacken, spürte, wie sich seine verhärteten Muskeln unter ihren Fingern entspannten. Er schloss die Augen und stöhnte leise. »Weißt du, meine süße Frau«, sagte er, »ich glaube, ich vermisse dich schon jetzt, dabei bist du noch nicht einmal weg.« Als ihre Finger zu kneten aufhörten, griff er jedoch wieder zu seiner Feder und arbeitete weiter.
Am Tag nach dem Begräbnis seines Vaters legte Thomas More sich ins Bett und klagte über ein plötzliches Druckgefühl in seiner Brust. Lady
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