Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
klugerweise mit einem Kommentar zurück. Konnte es sein, dass dem neuen Kanzler dasselbe Schicksal bevorstand wie dem alten? Ein Gedanke, der Anne beträchtliche Genugtuung verschaffte.
Der König bedeutete den Hofmusikanten zu spielen. Als die Melodie der Flötenspieler und Harfenisten erklang, sang er jedoch nicht mit, so wie er es sonst manchmal tat. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. Nachdem die Musiker geendet hatten und die letzte kunstvoll hergestellte Süßigkeit gegessen war, verkündete er so, dass es alle hören konnten:
»Ein Diener wird Euch zu Euren Gemächern geleiten, Lady Anne. Eure Hofdamen warten dort bereits auf Euch. Von heute an werdet Ihr, wenn Ihr in Hampton Court weilt, in den Gemächern der Königin schlafen.«
Dann ließ er seinen Blick langsam über die versammelten Höflinge schweifen, ungefähr ein Dutzend seiner Günstlinge. In seinem Blick lag Herausforderung. Niemand war jedoch so kühn oder dumm, den Fehdehandschuh aufzunehmen, nicht einmal der Herzog von Suffolk.
Auf die Pracht, die sie empfing, als sie die Gemächer der Königin betrat, war Anne in keiner Weise vorbereitet. Die kostbaren Wandteppiche und die silbernen Kerzenhalter an den Wänden, die Bettvorhänge aus Damast, die goldenen Kandelaber und der kunstvoll geschnitzte Schreibtisch im Kabinett der Königin, das Badezimmer mit seiner großen steinernen Badewanne, die mit Leinen ausgelegt war, all das stand dem, was sie am französischen Hof gesehen hatte, in nichts nach. Als Hofdame von Königin Katherine hatte Anne der Königin im Richmond Palace nach dem Bad einmal aus einer ähnlichen Wanne geholfen. Die Räume dort waren bei weitem nicht so prächtig ausgestattet wie im ehemaligen Palast des Kardinals. Kein Wunder, dass Heinrich ein Auge darauf geworfen hatte.
Als sie eintrat, machten zwei Frauen, die rechts und links neben der Tür standen, einen Knicks vor ihr.
»Willkommen, Mylady. Der König hat uns aufgetragen, Euch während der Abwesenheit der Königin als Hofdamen zu dienen. Ich bin Lady Margaret Lee. Und das hier ist Lady Jane Seymour.«
Anne nahm sehr wohl zur Kenntnis, wie vorsichtig sich Margaret ausdrückte, »während der Abwesenheit der Königin.« Was so viel hieß wie: Ihr seid nicht die Königin, sondern nur eine weitere Favoritin des Königs. Wir werden Euch bereitwillig dienen, aber nur, weil dies der Wunsch des Königs ist.
Anne nahm Lady Margaret ihre Vorsicht nicht übel. Die Frau war klug. Anne hatte die beiden Damen auch schon bei Hofe gesehen. Mit Margaret Lee war sie durchaus einverstanden. Sie war eine ältere Frau mit einem fröhlichen Wesen, die mit einem angesehenen Ritter verheiratet war: Eine gute Wahl, um eine junge Königin zu leiten und zu beschützen, so musste Heinrich gedacht haben. Von Jane Seymour war Anne jedoch weit weniger angetan. Sie war das genaue Gegenteil von Anne. Hellhäutig, blond und nicht sehr gebildet, zog sie das Sticken einem interessanten Gespräch vor. Anne bezweifelte, dass sie überhaupt ihren Namen schreiben konnte. Sie hatte auf eine Gesellschafterin gehofft, die ihr mehr entsprach.
»Dürfen wir Euch dabei helfen, Euch fürs Zubettgehen zurechtzumachen, Mylady?« Margaret begann bereits, ohne ihre Antwort abzuwarten, Annes Stirnband und ihr Haarnetz abzunehmen, sodass ihre Haare bis zur Taille herabfielen. Während sie sich von Lady Margaret die Haare bürsten ließ, sah Anne zu, wie Jane ein Hemd aus feinstem Batist bereitlegte, so dünn und durchscheinend, dass es kaum mehr als schicklich bezeichnet werden konnte. Anne hatte einmal Katherines Nachthemd gesehen. Dieses Gewand hier gehörte ohne jeden Zweifel nicht Katherine.
»Ich hoffe, es gibt hier eine Decke mit Gänsedaunen, damit ich keine Frostbeulen bekomme«, sagte sie.
Lady Margaret lächelte.
»Nein, aber Ihr bekommt einen samtenen Morgenmantel, falls Mylady das wünschen.«
»Mylady wünscht es«, sagte Anne mit ausdrucksloser Stimme. Sobald Anne im Bett lag, zogen sich die Dienerinnen in ihr Gemach zurück. Die Tür hatte sich kaum hinter ihnen geschlossen, da sprang Anne wieder aus dem Bett. Sie hüllte sich in den samtenen Morgenmantel, der mit seinem kräftigen, reinen Blau dem Mantel der Heiligen Jungfrau in den bunten Glasfenstern der königlichen Kapelle ähnelte, und überlegte, wo sie ihre Gebete sprechen sollte. Bereits auf den ersten Blick sah sie, dass es in diesem Zimmer keinen Altar gab. Sie hatte allerdings auch keine Lust, im Nachthemd die Kapelle des Palastes
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