Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
sammelte die Münzen aus dem schmutzigen Stroh.
Wenigstens besitzt sie noch einen Rest Verstand, dachte Kate ermutigt. »Mistress, kennt Ihr vielleicht einen Gefangenen namens John? Einen großen, blonden Mann mit blauen Augen … auf seiner Stirn hat er eine Ader, die deutlich hervortritt. Er ist ein freundlicher, ruhiger Mann.«
Die Frau zog sich vom Fenster zurück und schüttelte heftig den Kopf. Kate konnte sie in der Dunkelheit jetzt nur noch erahnen.
»Anscheinend nicht«, sagte Kate, dann fügte sie, während sie sich abwandte, noch hinzu: »Gott sei Euch gnädig, Mistress.«
Kate glaubte eine wimmernde Antwort zu hören und spitzte die Ohren. Aber nein. Sie nahm die Silhouette der Frau nur noch aus den Augenwinkeln wahr. Sie hatte sich nicht gerührt.
»Hier, hier drüben.« Das Scheppern eines Blechnapfes gegen die Eisenstäbe begleitete die Worte. Es war die Stimme eines Mannes aus der nächsten Zelle.
»Ich kenne jemanden, der John heißt«, rief der Gefangene. »Er könnte derjenige sein, nach dem Ihr sucht. Habt Ihr vielleicht noch ein paar Pennies in Eurem Beutel?«
Kates Herz schlug schneller. Das ist nicht sehr wahrscheinlich, sagte sie sich dann. Er hat gesehen, dass ich der Frau Geld gegeben habe, und hält mich für ein leichtes Opfer.
»John ist ein sehr stolzer Mann«, sagte der Gefangene. »Zu stolz, um zu betteln. Oder so schwermütig, dass es ihm egal ist, ob er verhungert. Er war ziemlich zugerichtet, als er hier ankam.« Er hielt inne, dann schob er eine Hand zwischen den Eisenstäben hindurch und winkte sie näher zu sich heran. Als sie auf seine Aufforderung nicht reagierte, fuhr er fort: »Er spricht im Schlaf ständig von einer Frau namens Mary. Seid Ihr vielleicht diese Mary?«
Das konnte auch einfach nur gut geraten sein. Immerhin gab es Hunderte von Männern, die John hießen, und noch mehr Frauen mit dem Namen Mary. Und dennoch … zu stolz, um zu betteln ! Sie sah zum Tor hinüber, hoffte dort einen Wärter oder einen Posten zu sehen, der auf der Straße Wache stand.
Aber da war niemand.
Zusammenreißen, Kate . Sie ging zu dem Gefangenen, der sein Gesicht an die Gitterstäbe presste, hielt aber sicheren Abstand.
»Werdet Ihr ihm eine Botschaft von mir überbringen? Und werdet ihr mir Nachricht von ihm bringen oder ihn bitten, persönlich an dieses Fenster zu kommen, um seine Schwester zu sehen?«
»Schwester! Dann nehme ich an, dass Ihr nicht diese Mary seid. Nun, ich denke, das könnte ich durchaus tun«, sagte er und nickte entschlossen.
Er war noch nicht alt, wie alt genau war wegen seiner strähnigen rabenschwarzen Haare, die ihm wirr ins Gesicht hingen, schwer zu sagen. Er hatte einen breiten, geraden Mund mit glatten Lippen, die sich in den schwarzen Stoppeln seines dunklen Bartes wie eine Sichel nach oben bogen. Der forschende Blick, mit dem er sie anstarrte, war ihr unangenehm. Seine Augen glänzten schwarz und glühten wie Kohlen. Das sind die Augen eines Mannes, der immer auf der Jagd ist, dachte sie. Ein gefährlicher Mann – vielleicht sogar ein Spanier –, ein Mann, der stets seinen Vorteil sucht. Sein Hemd mit den weiten Ärmeln war völlig verdreckt. Am Halsausschnitt hingen noch die zerfetzten Reste eines Spitzenbesatzes. Das war bestimmt nicht das Gewand eines Bettlers. Wahrscheinlich hatte der Mann es einem reichen Kaufmann gestohlen, möglicherweise war der Diebstahl dieses Hemdes sogar der Grund für seine Inhaftierung.
»Ich nehme an, dass Ihr das nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit tun werdet?«, sagte sie trocken. »Ich selbst stehe schon am Rand der Armut, weil ich stets für Auskünfte bezahle, die ich dann doch nicht bekomme.«
Er lachte.
»Ich bin weder zu stolz, um zu betteln, noch zu stolz, um zu verhandeln. Ich muss etwas essen. Und ich habe keine liebende Schwester, die für mich sorgt.« Seine Stimme triefte jetzt vor Sarkasmus.
»Könnt Ihr mir irgendeinen Beweis dafür geben, dass dieser Mann derjenige ist, den ich suche?«, fragte sie. »John ist ein häufiger Name. Und Mary ebenfalls.«
»Dieser John spricht wie ein gebildeter Mann«, sagte er. Er hatte seine Hand jetzt, da er ihre volle Aufmerksamkeit hatte, vom Fenster weggenommen. Er lehnte sich gegen die Stäbe, zupfte lässig an einem eingerissenen Nagelhäutchen. Sein Ton war so unbeschwert, als wären sie einander ebenbürtig und würden einfach nur ein wenig plaudern. »Unter seinen Fingernägeln hat er Tinte. Er ist also entweder ein Künstler – oder ein
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