Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
angenommen, dieser Christoffel ist unter dem Verhör zusammengebrochen … das ist schon weniger bedeutenden Männern passiert.«
Sie dachte an ihren Bruder, der dem Druck nicht standgehalten hatte, und an die Scham und das Entsetzen, das sie wegen seiner Qual empfunden hatte.
»Wenn er gewusst hätte, wo wir sind …«
Allein schon bei dem Gedanken, sowohl ihren Bruder als auch ihren Ehemann an den Hass von Thomas More zu verlieren, brannten Tränen in ihren Augen.
»Versprich mir, dass du so etwas niemals wieder tust«, sagte sie. »Bitte versprich es mir.«
Er zog sie an sich, küsste sie auf den Scheitel.
»Ich war auch in der Paternoster Row. Ich habe eure Druckerei gesehen.«
Sie sah ihn mit ehrlichem Interesse an, obwohl sie wusste, dass er nur versuchte, sie abzulenken. Er hatte ihr das Versprechen nicht gegeben. Aber sie war fest entschlossen, dass er, wenn er noch einmal nach London gehen würde, dies nicht allein täte.
»Das Schild ist noch immer da: GOUGHS BUCHGESCHÄFT UND DRUCKEREI . Es ist nur ein wenig verrostet und könnte etwas Farbe vertragen.«
»Hat sich irgendjemand dort einquartiert?«
»Nein. Die Fenster und Türen waren mit Brettern vernagelt. Es hing eine verblasste Notiz aus, auf der stand, dass das Haus wegen der Pestilenz versiegelt worden sei. Außerdem eine grobe Zeichnung, die jene fernhalten soll, die nicht lesen können – das ist wohl auch der Grund dafür, dass die Vagabunden das Haus meiden. Der Aushang trug Lord Walshs Siegel. Ich habe sie noch einmal abgeschrieben und mit einem neueren Datum versehen.«
»Aber du bist nicht hineingegangen.« Plötzlich wurde sie von der Sehnsucht gepackt, sie wollte den kleinen Laden sehen und die Treppe zu ihrem alten Zimmer unter dem Dach hinaufsteigen.
»Natürlich bin ich hineingegangen. Ich habe mich sogar dort einquartiert, als ich in London war. Ich habe ein Brett gelockert und bin durch das Fenster eingestiegen, das auf die Gasse hinausgeht.« Er grinste sie an. »Ich habe sogar in deinem Bett geschlafen, obwohl es für zwei besser gepasst hätte.«
»Wie lange warst du dort? Bist du noch woanders gewesen?«
»Ich habe mich nur so lange in London aufgehalten, bis ich alles Notwendige wusste.«
»Und das war?«
»Dass, falls diese Boleyn Heinrich für unsere Sache erwärmt hat, diese Chance vertan ist. Letzten April hat er einige Kirchenmänner zu sich gebeten. Sie haben darüber diskutiert, eine englische Bibel zu genehmigen. Einige hatten, wie ich von meinen Gewährsleuten in dem Gasthaus, von dem ich dir erzählt habe, erfahren habe, tatsächlich den Mut, auch dafür einzutreten. Aber am Ende hat sich More durchgesetzt. Solange More Kanzler ist, wird es keine erlaubten Bibelübersetzungen in England geben«, stellte er nüchtern fest. »Und dennoch sind die Bibeln überall. Man findet sie von Gravesend bis Bristol, in den vornehmsten Schlössern und in den bescheidensten Hütten. Eines Tages, in ferner Zukunft, werden die Menschen diese Freiheit in ganz England einfordern.«
»Aber wie können sie das, wenn der König es nicht erlaubt?«
»Viele haben bereits deutlich gemacht, dass sie bereit sind, alles dafür zu geben. Was kann ein Papst, ein König oder auch ein Kaiser gegen so etwas tun? Wenn ihre Zahl zu groß wird, können sie nur einlenken. Ansonsten wird es in England schon bald niemanden mehr geben, der Steuern zahlt und somit Heinrichs Kriege finanziert.«
Er setzte sich auf das Bett und zog die Stiefel aus. »Es ist schön, wieder zu Hause zu sein«, sagte er und ließ sich mit ausgebreiteten Armen in die Kissen fallen. »Du hast mir noch gar nichts von deiner Reise erzählt.«
Als sie ihm antworten wollte, hatte er bereits die Augen geschlossen.
»Ich habe einige von Catherines Freundinnen kennengelernt. Sie waren wirklich … aber davon erzähle ich dir später«, sagte sie. »Wenn du nicht so müde bist.«
Kraft seines Amtes als Kanzler war Sir Thomas More bei der Synode, die der König einberufen hatte, der einzige anwesende Nichtkleriker. Und da der Anlass für diese Versammlung, zumindest vorgeblich, die Staatskasse betraf, war es seine unangenehme Pflicht, die Bekanntmachung zu verlesen. Alle waren sie gekommen: Erzbischof Warham von Canterbury, Tunstall, der neue Bischof von Durham, und Stokesley, sein Vertreter in London, und eine Vielzahl anderer Bischöfe, Äbte und Priore, von denen Thomas viele mit Namen kannte.
Begleitet vom Knistern von Seide und dem Rascheln von feiner, schwarzer
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