Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
könnte ihr folgen, erlaubten sie ihr nämlich nicht einmal mehr, die fertigen Übersetzungen zum Drucker zu bringen oder die gedruckten Texte abzuholen.
Als die Tage kürzer wurden, begann sie den Winter zu fürchten. John hatte immer weniger Zeit für sie. Allerdings konnte Kate nicht behaupten, dass ihr Mann sie vernachlässigte. Er war voller Energie, und selbst in der kümmerlichen Privatheit des Englischen Hauses überschüttete er sie, wenn die Tür ihrer Kammer verriegelt war, mit liebevoller Zuneigung und gewiss mit so viel Leidenschaft, dass sie ein Kind, ja ein ganzes Haus voller Kinder zeugen konnten. Der Fehler musste bei ihr liegen.
Beim ersten Licht des Tages stieg John aus dem Bett, um sich in aller Frühe an die Arbeit zu machen. An diesen kalten Morgen bat sie ihn stets, wieder zu ihr ins Bett zu kommen. »William sagt, dass wir beizeiten anfangen sollen, damit wir das Geld für die Kerzen sparen«, erinnerte er sie dann stets und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. »Schlaf weiter, mein Engel.« An manchen Tagen schlief sie jedoch nicht wieder ein. Freitags und neuerdings auch dienstags stand sie auf, zog sich an und verließ das Haus durch den Garten der Kapelle, um zu dem kleinen Atelier zu gehen, wo die Schar der Frauen und der Kinder immer größer wurde. Sie achtete stets sehr darauf, dass ihr niemand folgte. John würde es ihr niemals verzeihen, wenn sie seiner Arbeit schadete oder seinen Freund in Gefahr brachte.
Die Nachrichten aus England wurde immer beunruhigender. Mit jedem Schiff, das in den Hafen einlief, berichteten verängstigte Flüchtlinge von Verbrennungen. Einer dieser Berichte belastete Kate in besonderem Maße. Richard Bayfield war ein ehemaliger Benediktinermönch, der sich der Reformbewegung angeschlossen hatte und sowohl mit lutherischen Schriften als auch mit Tyndales Büchern handelte. Wie so viele andere vor ihm, die man gezwungen hatte abzuschwören, war er auf den Kontinent geflohen. Sie erinnerte sich noch gut an ihre erste Begegnung im vergangenen Sommer. Bayfield war in vergnügter Stimmung gewesen, da es ihm gerade gelungen war, direkt vor der Nase der Spione des Kanzlers eine Fracht Bücher über die Ostküste und Colchester nach London zu bringen. Er hatte gelacht und mit mehreren Kaufleuten des Englischen Hauses auf die erfolgreiche Fahrt angestoßen. Sogar die Übersetzer hatten ihre Arbeit unterbrochen, um an der Feier teilzunehmen. Es schien, als wäre Gott ihren Bemühungen wohlgesonnen.
Aber als Bayfield im November wieder nach Antwerpen gekommen war, hatte er sich völlig verändert. Diesmal müsse er von einem Fehlschlag berichten. Das Schiff sei am St. Katherine’s Dock, ein kleines Stück unterhalb des Tower, beschlagnahmt worden. Er sei einer Verhaftung nur entgangen, weil er die Bibeln ins Wasser geworfen habe, als er die Zollbeamten, die unter der Brücke schon auf ihn gewartet hätten, gesehen habe. Da er bereits widerrufen habe, so hatte er beschämt weiter ausgeführt, hätten sie ihn bei einem zweiten Vergehen ohne weiteren Prozess einfach hinrichten können. Tyndale hatte ihm entgegnet, er solle sich wegen der Bibeln keine Gedanken machen, der Drucker könne wieder welche drucken, aber ein guter Mann sei unersetzlich. More müsse irgendwo hier einen Spion haben, da er das Ziel der Fracht gekannt habe. Vielleicht sollte sich Bayfield erst einmal eine Pause gönnen.
Bayfield aber hatte nur den Kopf geschüttelt und gesagt: »Nein. Keine Pause. Ich muss für diese andere Sache … büßen.«
Kate wusste, was er damit meinte, und sie bewunderte ihn dafür. Sie dachte an ihren Bruder und die Traurigkeit, die von ihm Besitz ergriffen hatte, nachdem er abgeschworen hatte. An die Scham, die sie seinetwegen empfunden hatte. Sie wollte Richard Bayfield daran erinnern, dass er für seine Sünden nicht zu büßen brauchte, ja es gar nicht konnte. Als Anhänger Luthers glaubte gewiss auch er an die Vergebung der Sünden durch Gnade und nicht durch Taten. Sie sollte jedoch keine Gelegenheit mehr bekommen, ihm diesen Trost zu spenden. Ostern wurde er festgenommen, als er gerade eine Ladung Ware nach Norfolk brachte, und im Schnellverfahren hingerichtet.
Drei Wochen später erhielten sie Nachricht von der Verbrennung eines Lederhändlers namens John Tewkesbury. Einziger Grund für die Hinrichtung war, dass in seinem Besitz Tyndales Bücher gefunden worden waren. Von diesem Tag an war ihr Mann so besorgt um ihrer beider Wohlergehen, dass
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