Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Wolle, nahmen sie ihre Plätze in der großen Halle von Westminster ein. Auf ihren nickenden Köpfen saßen purpurne und schwarze Mützen, und sie waren mit hermelingefütterten Stolen bekleidet. Angespannte Münder murmelten etwas hinter beringten Fingern. Die Atmosphäre im Saal war erfüllt von ihrer Würde und dem Duft schwerer Parfüme, aber sie erinnerte Thomas an die Luft kurz vor einem Gewitter. Wolseys Verhaftung war für sie ein unüberhörbares Donnergrollen am Horizont gewesen.
Jetzt warteten sie gespannt, ob die Gewitterwolken sich verzogen hatten. Sie hatten jedes Recht davon auszugehen, dass dies der Fall war. Obwohl man dem Kardinal vorgeworfen hatte, sich mit dem Papst gegen den König verschworen zu haben, war sein Tod vor ein paar Wochen noch rechtzeitig eingetreten, und man hatte ihn mit allen Insignien seines Amtes würdevoll aufgebahrt: Mitra, Bischofsstab, Ring, Pallium und Ornat. Seine Totenbahre wurde von Wachskerzen erleuchtet, während die Chorherren die Trauerlieder sangen. Obwohl man sich unter den Klerikern erzählte, dass die Hure des Königs zu Neujahr ein Maskenfest gegeben hatte, um »die Höllenfahrt von Kardinal Wolsey« gebührend zu feiern, war er mit allen Kardinalsehren bestattet worden, ein Beweis dafür, dass der König noch immer unter dem Einfluss des Papstes stand.
An diesem Tag war es Thomas’ unglückselige Aufgabe, sie über diesen Irrtum aufzuklären.
Er stand ganz vorn im Saal und wartete, bis das Murmeln verstummt war und sich alle Augen auf ihn richteten. Dann verkündete er mit seiner allseits bekannten Nüchternheit, dass er hier sei, um die Krone zu repräsentieren. Einige brachten ihr Missfallen zum Ausdruck und murmelten, dass es Seine Majestät nicht für nötig befunden habe, sie mit seiner Anwesenheit zu beehren, wo sie doch auf seine Bitte hin von so weit her über winterliche Straßen angereist seien. Dies war kein gutes Omen.
Thomas nahm die Dokumente, die vor ihm auf dem Tisch lagen, räusperte sich, um den Kloß des Widerwillens in seinem Hals loszuwerden, und begann das Papier zu verlesen. Alle hatten die Augen auf ihn gerichtet, während sie seinen Worten lauschten. Thomas erhob seine Stimme nicht. Das tat er nie. Er hatte schon vor langer Zeit erkannt, dass nur derjenige laut wurde, der keine Macht hatte. Thomas hatte keinen Grund zu schreien.
Ohne Emotionen und in ruhigem Ton, der in keiner Weise darüber Aufschluss gab, wie sehr ihm diese Aufgabe widerstrebte, verlas er die Erklärung des Königs. Darin wurde der Vorwurf erhoben, dass die kleinlichen Verzögerungen des Papstes hinsichtlich der Annullierung der Ehe des Königs die Staatskasse mehr als hunderttausend Pfund gekostet hätten. Von den hier versammelten englischen Vertretern der Heiligen Römischen Kirche fordere man daher eine Entschädigung. Jeder Priester und jeder Prälat, der das Prämuniere des verstorbenen Kardinals unterstützt habe, habe sich wie der Kardinal des Verrats schuldig gemacht. Er werde daher im Tower eingekerkert, und sein Eigentum werde eingezogen.
Ein allgemeines entsetztes Luftholen, viele besorgte Blicke, sogar ein paar Äußerungen des Unmuts, aber niemand protestierte laut. Allesamt Feiglinge, dachte Thomas, als er weiterlas. Hätte er die Bischofsmütze getragen und nicht die Kette seines Amtes – zu der ihn sein Vater und seine fleischliche Natur gezwungen hatten –, so hätte er angesichts einer solchen Unerhörtheit nicht geschwiegen, so wie es Erzbischof Warham jetzt tat. Kein Einziger besaß das Rückgrat aufzubegehren. Bis auf Bischof Fisher von Rochester vielleicht. Aber selbst der schwieg angesichts dieser Erpressung.
Thomas fuhr fort. Sollten sie jedoch die Klugheit besitzen, die Summe von hunderttausend Pfund an die Staatskasse zu entrichten, werde es keine weiteren Untersuchungen geben noch würden Anklagen erhoben werden. Der Krone sei damit Genüge getan.
Thomas war keineswegs überrascht, als er zwei Tage später erfuhr, dass sie sich bereit erklärt hatten zu zahlen. Genauso wenig überraschte es ihn, dass Heinrich VIII ., König von England, zwei Wochen später vor das Parlament trat und forderte, als alleiniger Beschützer und Oberhaupt der englischen Kirche und des englischen Klerus anerkannt zu werden. Diesmal widersprach Bischof Fisher von Rochester aufs Heftigste. Thomas, der das Gewicht der prächtigen Amtskette wie ein Brandeisen auf seinem Leib spürte, schwieg. Qui tacet consentire videtur. So gab auch Thomas mit seinem
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