Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
war.
»Beschränke dich auf den Glauben, hörst du? Die Tatsache, dass er frisch verheiratet ist, spielt doch überhaupt keine Rolle. Dein Mitgefühl kannst du dir sparen. Seine Frau ist keine süße, unschuldige Braut, die von ihrem Ehemann gerade erst in die Freuden der Liebe eingeführt wird. Sie ist die Witwe eines bekannten Ketzers, eines Verfassers von Schriften, die der heiligen Mutter Kirche fast ebenso abträglich sind wie die von Tyndale.«
Der Pförtner nahm den Haftbefehl entgegen, und Sir Thomas wandte sich zum Gehen. »Ich bin in meinem Studierzimmer. Ruf mich, wenn unser Gast eingetroffen ist. Egal, wie spät es ist.«
Sir Thomas holte aus seinem Arbeitszimmer im Haupthaus jedoch nur das kleine geknotete Seil, das dort an seinem Platz lag. Dann machte er sich auf den Weg zur Kapelle. Es war bereits weit nach Mitternacht, als er schließlich die Lampen in seinem Studierzimmer anzündete und zu schreiben begann.
Am nächsten Morgen klopfte Meg Roper zaghaft an die Tür des Studierzimmers.
»Wer ist da?« Die Stimme klang außergewöhnlich scharf und ungeduldig. Der ungewohnte Ton ließ sie zuerst vermuten, irgendein Fremder säße am Schreibtisch ihres Vaters.
»Ich bin es, Margaret, Vater. Ich bringe dir deine Hemden.«
»Komm herein«, sagte er. Dann wies er auf das Bündel, das sie auf dem Arm trug. »Leg sie auf den Stuhl dort unter dem Fenster. Unter dem Sitz liegen noch zwei weitere zusammengerollte Hemden.«
Als sie die schmutzigen Hemden unter dem Stuhl hervorholte, fiel ihr auf, dass eines davon noch feucht von Schweiß und Blut war. Sie bemerkte auch, wie dünn ihr Vater geworden war und wie farblos seine Haare und seine Haut waren, so als wäre er vollkommen ergraut. Sie zögerte, da sie nicht wusste, wie sie beginnen sollte, und hoffte, er würde sie zum Bleiben auffordern, was er jedoch nicht tat. Stattdessen wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Streitschrift zu, an der er gerade arbeitete. Die Art, wie seine Hand wütend die Feder führte, und sein finsterer Gesichtsausdruck sagten ihr, dass es sich dabei wohl wieder um eine der hasserfüllten Antworten auf eine von Luthers oder Tyndales Schriften handelte. Warum mussten diese Männer ihren Streit öffentlich austragen? Warum konnten sie ihr Gift nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit verspritzen und damit allen anderen die Qual des Zuhörens ersparen?
Er war so konzentriert, dass er gar nicht zu merken schien, dass sie noch im Zimmer stand. Dann jedoch sagte er kurz angebunden und ohne aufzublicken:
»Gibt es sonst noch etwas, Margaret?«
»Es geht um eines deiner Hemden, Vater. Es war so viel Blut darauf, dass ich es beim Waschen nicht sauber bekommen habe. War das alles dein Blut?«
Er legte die Feder weg und sah sie seufzend an.
»Nun, wessen Blut sollte es denn sonst sein?«
»Aber da waren Spritzer, die …«
»Dir ist doch wohl bekannt, worum es bei der Kasteiung des Fleisches geht. Wir haben darüber schon einmal gesprochen. Du weißt, warum ich das tue«, sagte er in demselben tadelnden Ton, in dem er sie als Kind ermahnt hatte, wenn sie nicht genug Sorgfalt auf die Übersetzung eines Textes von Vergil verwendet hatte.
Sie hatten tatsächlich darüber diskutiert. Sie wusste deshalb sehr wohl, worum es ging, aber sie verstand es trotzdem nicht. Die Kirche hatte Selbstgeißelungen verboten, aber einige der Mönche praktizierten sie noch immer, wenn auch in aller Heimlichkeit. Als sie ihn damals gefragt hatte, warum er es tue, obwohl die Kirche es untersage, hatte er ihr erklärt, dass es eine feste Doktrin sei und die Kirche nur etwas gegen die öffentliche Zurschaustellung dieser Praxis habe unternehmen wollen. Mönche und Priester seien damals in Gruppen durch die Städte gezogen, hätten mit ihrer Selbstgeißelung die Stimmung der Massen angeheizt. Sie hätten ein Schauspiel veranstaltet – ein Schauspiel, das Kritik hervorgerufen hätte. Einige der Flagellanten hätten sogar ihre blutigen Gewänder als wundertätiges Tuch an abergläubische Bauern verkauft.
Ihr Vater hatte gelacht, als er das erzählt hatte, und hinzugefügt, dass sie hoffentlich nicht die Absicht habe, Fetzen von seinem blutigen Hemd zu verkaufen. Seine Andachtsübungen sollten seine Privatsache bleiben. Deshalb gebe er seine Hemden auch nicht der Wäscherin in Chelsea. Margaret hatte das verstanden, und so wusch sie seit Jahren seine blutbefleckten Hemden. Aber so blutig wie jetzt waren sie noch nie gewesen. Das war kein symbolisches
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