Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Vater ein großer Mann ist, jedenfalls dann nicht, wenn man Größe mit Macht gleichsetzt. Immerhin legen der König und der Kardinal großen Wert auf seinen Rat. Wenn wahre Größe aber, wie unser Herrgott lehrt, mit Mitgefühl verbunden ist, nun, dann wird er seinem Ruf bestimmt nicht gerecht.«
Mistress Roper erhob sich von ihrem Stuhl und trat mit raschelnden Röcken ans Fenster. Kate folgte ihrem Blick auf die Straße hinaus, wo ein livrierter Diener mit einem grauen Zelter wartete, den er bei den Zügeln hielt. Kate war erleichtert, da sie annahm, dass die Frau wohl gleich gehen würde. Sie hielt jedoch inne und drehte sich wieder zu ihr um. Offensichtlich wollte sie Kates Vorwurf nicht so einfach im Raum stehen lassen.
»Vielleicht ändert Ihr Eure Meinung, wenn Ihr von den vielen guten Taten meines Vaters erfahrt. Gerade eben erst war ich im Armenhaus, das Sir Thomas unterhält. Ich fahre zweimal in der Woche mit einem Boot, das mit Speisen und heilsamen Tränken für die dortigen Bewohner beladen ist, von Chelsea nach London. Die Lebensmittel stammen aus dem Lagerhaus meines Vaters, und die Arzneien hat er von seinem Apotheker herstellen lassen.«
Kate kam der Gedanke, dass Thomas More einen Rest von Güte besitzen musste, wenn seine Tochter ihn so sehr liebte, dass sie ihn vor jedermann verteidigte. Kate war schon drauf und dran, sich für ihre unverblümten Worte zu entschuldigen, als sie im Geist wieder Johns hohlwangiges Gesicht und seinen gehetzten Blick vor sich sah. Es wollte ihr einfach nicht gelingen zu schweigen.
»Wohltätigkeit ist für einen großen Mann eine Notwendigkeit. Und Sir Thomas ist ein Mann, der zweifellos im Licht der Öffentlichkeit steht.«
Das ärgerliche Aufblitzen in Mistress Ropers Gesicht sagte ihr, dass sie sehr wohl wusste, was Kate mit diesen Worten andeuten wollte, aber sie fing sich rasch wieder.
»Ich kam gerade von einem privaten Gang ins Armenhaus zurück, als ich beschloss, in der Paternoster Row Halt zu machen. Ich liebe Bücher. Mein Vater legt großen Wert darauf, dass alle seine Töchter und sogar seine Mündel eine Ausbildung in den klassischen Sprachen erhalten. Als Buchhändlerin könnt Ihr den Wert dessen gewiss schätzen.« Sie hielt inne, um zu sehen, ob ihre Worte die beabsichtigte Wirkung zeigten. Kate schwieg. »Ich habe das Schild Eurer Druckerei gesehen, und da ich die Dienste eines Druckers benötige, wollte ich Euch einen Besuch abstatten.«
Das soll glauben wer mag, dachte Kate. Sie wusste, dass Sir Thomas alle seine Werke von seinem Schwager Rastell drucken ließ. Sie konnte also davon ausgehen, dass diese Frau nur für ihren Vater spionieren wollte.
Als sie noch immer nichts sagte, fuhr Margaret Roper fort: »Ihr mögt Euch vielleicht fragen, warum ich nicht zu unserem Drucker gehe. Ich werde es Euch sagen. Es handelt sich um eine meiner eigenen Übersetzungen, und ich wollte meinen Vater damit überraschen. Eure Druckerei wäre sehr günstig für mich gewesen, da ich ohnehin zweimal in der Woche hier vorbeikomme.«
Ihre Stimme wurde am Ende des Satzes ein wenig höher, so als wolle sie damit noch einmal an Sir Thomas’ Wohltätigkeit erinnern.
»Es tut mir leid, dass wir einem so edlen Haus nicht dienlich sein können, Lady Margaret, aber wie Ihr selbst seht, haben wir den Betrieb praktisch eingestellt.« Sie machte eine ausladende Geste. »Auf der anderen Seite von St. Paul gibt es noch einen Drucker. Er kann Euch wahrscheinlich dienen.«
»Mir tut es auch leid«, sagte Mistress Roper, während sie bereits zur Tür ging. »Aber vielleicht kann ich Euch auf andere Weise helfen.«
Weshalb solltest gerade du uns helfen wollen ?, fragte Kate sich. Was bedeuten wir dir denn schon ? Diesmal aber war sie so schlau, ihre Gedanken für sich zu behalten. Sie glaubte ohnehin zu wissen, was der Grund war. Sie hatte Thomas Mores Größe in Frage gestellt. Mistress William Roper, geborene More, konnte und durfte das nicht unwidersprochen hinnehmen – sowohl um der Liebe zu ihrem Vater als auch der Auseinandersetzung willen.
Sie stand, mit dem Rücken zu Kate, an der Tür, die Hand schon auf dem Riegel. »Was legt man Eurem Bruder zur Last?« Sie drehte sich um und sah Kate an.
»Es gibt keine Anklage. Er wurde unter dem bloßen Verdacht verhaftet, lutherische Schriften zu verbreiten.«
»Und hat er lutherische Schriften verbreitet?«
»Man hat weder bei ihm persönlich noch hier in der Druckerei Beweise gefunden, die eine solche Anklage
Weitere Kostenlose Bücher