Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Hoffnung gab, und nicht erst, wenn sie alt und grau war. Sie brauchte Geld und jemanden, den sie liebte und von dem sie geliebt wurde. Wenn Er alles gut machen würde, dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um damit anzufangen.
Der einzige Ort, an dem sie sich diskret danach erkundigen konnte, wie und an wen sie die Bibel verkaufen könnte, war unten an den Docks. John hatte oft mit einem Mann namens Humphrey Monmouth von der Gilde der Merchant Adventurers Geschäfte gemacht. Vielleicht konnte er ihr einen Rat geben. Es war noch hell. Wenn sie sich sofort auf den Weg machte, würde sie noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein.
Es konnte zumindest nicht schaden, wenn sie fragte.
6
Ein Fegefeuer! Nein, davon gibt es nicht nur eines, sondern zwei. Das erste ist das Wort Gottes, das zweite das Kreuz Christi: Ich meine damit nicht das Kreuz aus Holz, sondern das Kreuz der Drangsal. Aber das Leben der Papisten ist so gottlos, dass sie sogar noch ein drittes erfunden haben.
John Frith in Erwiderung auf Thomas Mores Schriften zur Doktrin des Fegefeuers.
S chlaf weiter, Alice«, sagte Sir Thomas More zu seiner friedlich schlummernden Frau. »Ich werde mir von der Köchin ein kaltes Küchlein und eine Tasse lauwarme Milch geben lassen.«
Lady Alice schlief weiter. Er gab ihr einen leichten Klaps auf ihre massige Hüfte, die sich als Berg unter der Leinendecke abzeichnete.
»Was ist? Thomas …«
Ihr finsterer Blick war nicht gerade das, was sich ein Mann beim Aufwachen wünschte.
Es war Dienstag – einer der vier Wochentage, an denen der Kronrat zusammenkam. Thomas More war zeitig aufgestanden, noch bevor sein Haushalt auf den Beinen war, und war nach draußen gegangen, um einen Fährmann herbeizurufen, der ihn später den Fluss hinunter nach Westminster bringen sollte. Die kühle Morgenluft liebkoste sein Gesicht. Dieser Sommer war ungewöhnlich heiß, und er freute sich keineswegs darauf, dass er schon bald sein Paradies in Chelsea verlassen musste, um das von Krankheiten verseuchte London aufzusuchen – nicht einmal wenn sein Ziel die überaus prächtige Westminster Hall war. Nur widerwillig war er wieder nach drinnen gegangen, um seine Unterlagen zu holen und sich von seiner Frau zu verabschieden.
»Ich sagte, es ist nicht nötig, Alice, dass du aufstehst, nur weil dein Herr und Meister sich auf den Weg zur Arbeit macht, damit du etwas zu essen hast.«
Sie öffnete kurz ein Auge.
»Ich wette, das Einzige, was arbeitet, wird dein Magen an der Tafel Seiner Majestät sein.«
Thomas seufzte. Eine Zunge wie eine Natter, und dabei war sie noch nicht einmal richtig wach. Einen solch beweglichen Geist musste man bewundern. Bei einer schönen Frau mochte man ihn wohl sogar tolerieren. Alice konnte man jedoch, selbst wenn man all seine Phantasie aufbot, keine Schönheit nennen. Außerdem war sie einige Jahre älter als er und nicht allzu sehr darauf versessen, sich geistigen Betätigungen zu widmen. Trotz dieser Unzulänglichkeiten passte sie als Ehefrau durchaus zu ihm. Wenn sie von ihrer scharfen Zunge keinen Gebrauch machte, unterstützte sie ihn in allem, was er tat, und sie wusste, wie man den Haushalt eines großen Mannes führte. Die Diener hatten vor ihr mehr Respekt als vor ihm. In Chelsea war ihr Wort Gesetz.
Abgesehen davon: Wäre sie eine liebreizende Maid gewesen, mit weichen Schenkeln, milchweißer Haut und glänzendem Haar – er zog unwillkürlich seine Schulterblätter unter dem härenen Hemd zusammen –, wie hätte er dann je genug Buße für seine fleischlichen Gedanken tun können, geschweige denn für sein sinnliches Vergnügen?
Seine Frau hob den Kopf vom Kissen. Die Nachtmütze saß ihr so schief auf dem Haar wie die Kappe des betrunkenen Richters, der heute auf der Prozessliste stand. Er unterdrückte das Lachen, das in seiner Kehle aufstieg, denn über Lady Alice machte man sich nicht ungestraft lustig. Sie öffnete jetzt beide Augen, und ihr wolkig blauer Blick begegnete dem seinen, als er sich bückte, um ihr einen gehorsamen Kuss auf die Stirn zu drücken.
»Du sagst mir am besten gleich, ob du jemanden wie diesen Holländer, an dem dir so viel liegt, oder diesen Porträtmaler mitbringen wirst.«
»Ich wünschte sehr, dass Erasmus oder Holbein uns besuchen kämen. Die beiden würden ein wenig geistige Zerstreuung bedeuten. Aber jeder, der noch laufen kann, ist vor dem Schweißfieber aus London geflüchtet. Ich fürchte, meine liebe Frau, du wirst dich mit meiner
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