Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Ketzerei danken? Denkt an meine Worte, Thomas: Von dem jungen Frith werdet Ihr noch viel hören, falls er noch am Leben ist.«
»Was meint Ihr mit ›falls er noch am Leben ist‹?«
»Anscheinend ist Dekan Highdon bei der Bestrafung ein wenig zu weit gegangen.«
»Wie bitte?«
»Er hat Frith und die anderen vier oder fünf in einem Keller unter dem College eingesperrt.«
»Nun – ich nehme an, dazu war er berechtigt. Es handelt sich schließlich um Studenten …«
»Drei Monate lang.«
»Drei Monate!« Thomas wiederholte die Worte, um sich zu vergewissern, dass er den Kanzler richtig verstanden hatte. »Ohne ordnungsgemäßen Prozess? Sogar ohne eine Anhörung? Euer Eminenz, es überrascht mich, dass Ihr gestattet …«
»Ich habe es nicht gestattet, Master More. Man hat die Gefangenen offenbar einfach vergessen.«
»Wie sehen die Haftbedingungen in diesem Keller aus?«
»Nicht gut. Man sagte mir, dass er dazu dient, Fisch zu lagern. Kein sehr angenehmer Ort.«
»Lasst sie unverzüglich frei«, sagte Thomas.
»Das ist leider nicht so einfach.« Der Kardinal drehte seinen großen Siegelring an seinem dicken Wurstfinger hin und her. »Nun, einige von ihnen sind bereits gestorben. Wahrscheinlich am Schweißfieber, aber …«
Thomas’ Gedanken überschlugen sich. Wirklich eine außerordentliche Dummheit, sowohl seitens des Colleges als auch des Kardinals, aber diese Dummheit konnte sich auch auf seinen Ruf als Kämmerer auswirken.
»Sagt Dekan Highdon, er soll die Familien der Studenten unverzüglich benachrichtigen«, sagte er. »Sprecht ihnen Eure Anteilnahme aus. Und erklärt, dass ihre Leichen wegen der Ansteckungsgefahr bereits bestattet wurden und dass das College die Kosten übernehmen wird, wenn die Familien die Gräber besuchen wollen, et cetera, et cetera. Aber kein Wort zu den Umständen ihres Todes.«
»Und was ist mit den anderen?«
»Lasst sie unverzüglich frei.«
»Aber sie werden überall verbreiten, dass sie unrechtmäßig inhaftiert und schlecht behandelt wurden.«
»Wie viele von ihnen sind noch am Leben?«
»Zwei oder drei, glaube ich.«
»Zwei oder drei? Und wer?«
Der Kardinal senkte den Kopf wie ein Widder, der gleich losstürmen wird. Eine unmissverständliche Warnung für Thomas, dass er sich diesen ungehörigen Ton verbat. Er bewegte kaum die Lippen, als er sagte:
»Frith und Betts. An den Namen des Dritten kann ich mich nicht erinnern.«
Thomas wandte den Blick ab. Man befragt den Kanzler von England nicht im selben Ton wie einen gewöhnlichen Kriminellen, ermahnte er sich.
»Seid versichert, Euer Eminenz. Das lässt sich regeln«, fügte er in besänftigendem Ton hinzu.
»Ich war mir sicher, dass wir wenigstens in diesem Punkt auf Euch zählen können«, entgegnete Wolsey und schürzte dabei die Lippen.
Thomas ignorierte den Seitenhieb geflissentlich.
»Diese Studenten haben nicht nur gegen die Vorschriften der Universität verstoßen, sondern auch gegen die Gesetze dieses Landes. Für letzteres Vergehen wird ihnen ein ordentlicher Prozess gemacht werden: eine offizielle Vernehmung und dann eine formelle Anklage wegen Ketzerei. Wenn das Gericht mit ihnen fertig ist, werden sie bestimmt nicht mehr in der Verfassung sein, irgendetwas zu verbreiten. Sie werden vielmehr darum betteln, dem Papst die juwelenverzierten Pantoffeln küssen zu dürfen, das kann ich Euch garantieren.«
»Und alles geschieht im Rahmen des Gesetzes?«
»Stets im Rahmen des Gesetzes, Euer Eminenz.«
Wolsey lächelte.
»Eure beruhigenden Worte haben meinen Appetit zurückkehren lassen«, sagte er, jetzt wieder so jovial wie immer. »Der König hat uns eingeladen, in seinem Gemach zu Abend zu essen.«
Thomas zögerte, fragte sich, ob er es wagen konnte, die Einladung auszuschlagen.
»Ihr braucht nicht so verdrießlich dreinzusehen, Sir Thomas. Er wird das Thema Scheidung bestimmt nicht ansprechen – jedenfalls nicht in Gegenwart Dritter. Euch in dieser Sache auf seine Seite zu ziehen, ist meine Aufgabe.«
»Eure Eminenz …«
»Sagt jetzt nichts weiter«, sagte Wolsey und hob die Hand, »sonst werde ich wieder ungehalten. Und das wäre meiner Verdauung bestimmt nicht zuträglich. Und damit wollt Ihr Euer Gewissen doch sicher nicht belasten, oder?«
»Nicht um alles in der Welt«, sagte Thomas lächelnd, »denn das wiederum wäre bestimmt der meinen nicht zuträglich.«
Als Kate sich der Zunfthalle der Kaufleute näherte, war sie froh, dass sie die Wycliffe-Bibel nicht mitgenommen
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