Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Zwecken diente, »es gibt da eine kleine Angelegenheit, die ich gern mit Euch besprechen würde.«
Thomas wappnete sich für das, was kommen würde: die Bitte des Königs, sich für seine große Sache einzubringen. Der Kardinal setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
»Seine Majestät ist besorgt, weil Ihr Euch nicht zu seiner Sache äußert. Und auch ich würde gern Eure Meinung dazu hören.« Er sagte es leichthin, so als würden sie eine zwanglose Unterhaltung führen und als wäre dieses Thema zwischen ihnen noch nie erörtert worden. Thomas erkannte jedoch sehr wohl, wenn man versuchte, ihm eine Falle zu stellen. Wenn er sagte, er sei der Meinung, dem König solle es erlaubt sein, sich scheiden zu lassen, würde man ihn zu den Befürwortern zählen. Wenn er aber sagte, es sei seiner Ansicht nach eine Sünde, eine Frau nach zwanzigjähriger Ehe zu verstoßen, zugunsten von … nun, dieser Weg war nicht ungefährlich.
»Ich kann nur die rein juristische Meinung vertreten, Eminenz.« Thomas seufzte. »Und die ist Euch bereits hinlänglich bekannt.«
»Das ist eine vorsichtige und ausweichende Antwort, Thomas. Nur damit es keine Missverständnisse zwischen uns gibt«, fügte Wolsey barsch hinzu, dessen Jovialität mit einem Schlag verschwunden war, »legt mir noch einmal Euren rechtlichen Standpunkt dar, jetzt, da wir unter uns sind.«
»Die Tatsache, dass Ihr und ich diese Angelegenheit hier unter vier Augen besprechen, ändert nichts an meiner Antwort. Es ist ohne jeden Zweifel rechtswidrig, wenn König Heinrich sich von der Königin scheiden lässt und Anne Boleyn heiratet, es sei denn, der Papst gewährt ihm einen Dispens.«
Wolsey überlegte, spitzte dabei die vollen Lippen.
»Das ist wenig hilfreich, Thomas«, murmelte er leise in sich hinein. »Wie Ihr wisst, gibt es viele Kräfte, die gegen den König sind. Ich habe von einer frommen Nonne aus Kent gehört, die vorhersagte, der König werde sterben und sein Königreich untergehen, wenn er sich von der Königin scheiden lasse. Ist Euch diese Prophezeiung auch zu Ohren gekommen, Thomas?«
»Etwas in dieser Art, ja. Reines Weibergeschwätz. Auf solch irres Gerede gebe ich nichts.«
»Weise, Thomas. Das ist sehr weise von Euch.«
Schweißperlen standen auf der Oberlippe des Kardinals. Es war ein warmer Tag, und trotzdem trug er das Kardinalsgewand und die dazugehörige Stola aus Zobelpelz. Thomas war jedoch überzeugt davon, dass die Frage nach der großen Sache des Königs dem Kardinal auch an einem kalten Wintertag und nur mit einem Hemd bekleidet die Schweißperlen auf die Stirn treiben würde. Sämtliche Versuche Wolseys, einen entsprechenden Erlass beim Papst zu erwirken, waren vergeblich gewesen und würden es wohl auch bleiben. Heinrichs spanische Ehefrau verfügte über hervorragende Beziehungen – über bessere jedenfalls als der große englische Kardinal und Lordkanzler.
Der Kardinal trocknete sich mit einem seidenen Taschentuch die Stirn. »Und dennoch seid Ihr noch nicht ganz aus dem Schneider, Thomas. Es gibt da noch eine andere Sache, die eine rechtliche Stellungnahme Eurerseits erfordert. Da Ihr auch Kämmerer des Cardinal College in Oxford seid, erfordert diese Angelegenheit Eure berufliche Aufmerksamkeit.«
Nun, das ist zumindest einigermaßen sicheres Terrain, dachte Thomas.
»Es hat sich da ein kleines Problem mit einigen Studenten ergeben. Sie sind offensichtlich dem lutherischen Einfluss erlegen. Seid Ihr darüber informiert worden?«
»Ich habe davon gehört«, sagte Thomas. »Aber ich dachte, die Angelegenheit hätte sich schon im Frühjahr mit der Verhaftung des Buchhändlers Garret erledigt. Ich nahm an, dass man den Studenten ihren Irrweg klargemacht und sie entsprechend bestraft hätte.«
Wolsey erhob sich schwerfällig und begann langsam hin und her zu gehen, wobei sein üppiges Gewand über den Boden schleifte.
»Ja, sie wurden bestraft. Aber es gibt, wie gesagt, in diesem Zusammenhang noch ein Problem, das es zu lösen gilt. Kennt Ihr einen Studenten namens John Frith?«
Thomas schüttelte den Kopf. Er hatte mit dem Tagesgeschäft in Oxford so gut wie nichts zu tun, obwohl mit seinem Titel ein ansehnliches Gehalt verbunden war.
Wolsey ließ sich wieder auf den Wollsack sinken und starrte an Thomas vorbei in die Ferne. »Er ist ein wirklich brillanter junger Mann. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass einige der besten Studenten in Cambridge mir das jetzt mit diesen kleinen geistigen Ausflügen in die
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