Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
kann man in einer Ehe gar nicht hoch genug bewerten – Liebenswürdigkeit und Respekt. Mein Mann ist gut zu mir, und ich liebe ihn sehr. Ich wünschte nur, er und Hugh kämen besser miteinander aus. Das bedaure ich wirklich, denn auf ihre Art sind beide prachtvolle Männer, und sie stammen aus demselben Mutterschoß.«
»Warum herrscht denn solche Feindseligkeit zwischen ihnen?« Mahelts Neugier war geweckt.
Ela zog die Brauen zusammen.
»Mein Will weigert sich, darüber zu sprechen, er wird ärgerlich, wenn ich das Thema anschneide, und gibt vor, der Grund wäre völlig unbedeutend, aber ich glaube, es hat etwas mit Familien- und Besitzangelegenheiten zu tun.«
Mahelt runzelte die Stirn, als sie zu begreifen versuchte, was Ela meinte. Sie vermutete, dass Longespee sich aufgrund seiner illegitimen Geburt unter den Bigods beklommen fühlte, obwohl Hugh, soweit sie ihn kannte, seinen Halbbruder deswegen sicher nicht ablehnen würde, und als Sohn und Bruder eines Königs war Longespee reichlich entschädigt worden.
»Mein Mann steht mit den Füßen in zwei Welten«, fuhr Ela fort. »Es ist schwierig für ihn, weil der König von ihm erwartet, dass er ihm alles über seine Bigod-Familie erzählt, und seine Bigod-Familie hofft darauf, dass er beim König gut Wetter für sie macht. Das im Gleichgewicht zu halten ist nicht immer leicht für sein Ehr- und Pflichtgefühl.«
Mahelt nickte. Das verstand sie, weil ihr Vater oft einen Mittelweg
zwischen seiner Pflicht gegenüber seiner Familie und gegenüber dem König finden musste. Es erklärte aber nicht die Feindschaft zwischen Hugh und Longespee.
»Eine Frau muss versuchen, Frieden zu stiften«, meinte Ela. »Ich tue mein Bestes, aber Will ist stolz und halsstarrig, und Hugh versteckt sich oft hinter einem aufgesetzten Lächeln.«
Während Mahelt versuchte, dies zu verarbeiten, traf ein Bote in vollem Galopp ein, stieg ab und eilte geradewegs auf ihren Vater zu. Plötzlich hielten alle mit ihren Schwertübungen inne und scharten sich, die Hände in die Hüften gestemmt, mit besorgter Miene um ihn. Mahelts Magen krampfte sich zusammen. In Caversham kamen und gingen die Boten. Aber wenn ein Bote ihren Vater während eines gesellschaftlichen Ereignisses aufsuchte, hieß das, dass die Neuigkeiten keinen Aufschub duldeten.
Als die Gruppe sich zerstreute, rannte Mahelt zu Will und packte ihn am Arm.
»Was ist passiert?«, erkundigte sie sich.
Ihr Bruder strich sich erregt das dunkle Haar aus der Stirn. »Die Burg von Gaillard ist gefallen«, entgegnete er. »Das bedeutet, dass die Franzosen freien Zugriff auf Rouen haben, weil Gaillard den Zugang vom Fluss aus geschützt hat. Jetzt hat der König die Normandie endgültig verloren.«
Mahelt dachte an die hohen Mauern von Longueville und die sich dahinter erstreckenden goldenen Weizenfelder, die man von der Brustwehr aus überblicken konnte.
»Heißt das, dass auch Papa sein Land verlieren wird?«, fragte sie.
Will zuckte die Achseln.
»Nicht wenn er es verhindern kann. Aber es sieht schlecht aus.«
5
Montfiquet, Normandie, Mai 1204
Hugh lag auf seinem Bett und lauschte dem Vogelgesang. Das süße Trällern einer Drossel in der kühlen Morgenluft erfüllte seine Brust mit Emotionen, die anzuschwellen drohten wie der Gesang der Drossel. Hinter den Fensterläden erwachte der Gutshof zum Leben, er konnte Stimmen, das Wiehern eines Pferdes und das Quietschen hören, als der Eimer aus dem Brunnen hochgezogen wurde. In wenigen Momenten würde er ebenfalls aufstehen müssen, wohl wissend, dass, wenn die Sonne das Frühlingsgras erwärmte, dieser Ort eine Erinnerung sein würde, die er nie wieder aufleben lassen konnte – wenn nicht ein Wunder geschah.
Er drehte den Kopf auf dem Kissen und betrachtete Nicolette. Ihr Haar war tiefrot, eine Farbe, die ihn an reife Kirschen denken ließ, ihr Mund weich und süß. Er bekam nie genug davon, sie zu küssen. Gestern Nacht hatten sie die Läden offen gelassen, um den Sternenhimmel zu bewundern, und sich in dem Wissen geliebt, dass ihrer beider Wege sich trennen würden, wenn der Morgen kam. Er wusste, dass er nur einer ihrer ausgewählten Kunden war, zu denen auch ein Bischof und ein wohlhabender Weinhändler zählten, aber trotzdem herrschte zwischen ihnen eine Zuneigung, die über die Bezahlung für geleistete Dienste hinausging.
Als würde sie seinen Blick spüren, schlug sie die Augen auf und gähnte.
»Der Tag ist angebrochen«, sagte er. »Wir müssen gehen.«
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