Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
Er beugte sich vor, um sie ein letztes Mal zu umarmen, und sie schlang die Arme um seinen Hals und presste ihn fest an sich.
Draußen hatte der Geräuschpegel zugenommen. Die Stallburschen sattelten die Pferde, eine Frau rief nach den Hühnern. Widerstrebend löste sich Hugh von Nicolette und begann sich, den feuchten Abdruck ihres Kusses noch auf den Lippen, rasch anzukleiden. Sie setzte sich auf, zog die Decke über ihre Brüste und beobachtete ihn. Ihr rotes Haar fiel ihr über den Rücken.
»Ich werde unsere Treffen vermissen.« Wieder gähnte sie wie eine Katze. »Vielleicht besuchst du mich einmal in Bayeux, wenn der Zwist zwischen dem König von England und dem König von Frankreich beigelegt ist?«
»Ja, vielleicht.« Er wusste, dass er das nicht tun würde.
Als sie beide angekleidet waren, überreichte er ihr einen kleinen bestickten Geldbeutel mit Seidenkordeln, den sie sich an den Gürtel hängen konnte. Er enthielt eine großzügige Summe Silber, die dem Beutel ein erfreuliches Gewicht verlieh. Es war ihr Lohn, aber Hugh betrachtete ihn mehr als Geschenk denn als Bezahlung.
Sie dankte ihm mit einem letzten langen Kuss.
»Denk manchmal an mich.«
»Ich werde öfter als nur manchmal an dich denken«, versprach er. »Die Schwierigkeit wird darin bestehen, es nicht zu tun.«
Sie strich ihm über das Gesicht und wandte sich ab.
»Eine Weile vielleicht, mein Hugh, aber die Zeit lässt Erinnerungen verblassen. Was jetzt noch schmerzt, wird bald einer leisen Wehmut weichen.«
Er wusste, dass sie Recht hatte. Diese letzten Momente waren bittersüß, aber sowie das Band durchtrennt war, würden sie beide die nächsten Ziele in ihrem Leben ansteuern.
Gemeinsam gingen sie in den Hof hinunter. Hugh hob Nicolette auf ihr Pferd, blieb einen Augenblick lang neben ihr stehen und umfasste mit der Hand ihren Knöchel. Dann gab er sie frei und sah ihr nach, als sie, eskortiert von zweien seiner Männer, davonritt.
Sie drehte sich noch einmal um, und er prägte sich das blasse Oval ihres Gesichts und das Lächeln auf ihren vollen Lippen ein. Als sie den Blick wieder auf die Straße richtete, wandte er sich gleichfalls entschlossen ab und widmete sich der Aufgabe, die Pferde seines Vaters für die Reise zur Küste zusammenzutreiben. Er hatte aus der Herde ein neues Reitpferd für sich ausgewählt – einen vierjährigen Hengst mit einem Fell von der Farbe polierten Jetts. Hebon, nach seiner Farbe benannt, besaß spanisches Blut, was man an seiner gewölbten Nase und der dichten schwarzen Mähne erkennen konnte, die seinen stolzen gebogenen Hals bedeckte. Hugh war gestern mit ihm über den Landsitz geritten, hatte sich von den Orten seiner Kindheit verabschiedet. Er wusste, dass bald die Franzosen das Land für sich beanspruchen, ihre eigenen Pferde züchten, die Äpfel pressen und den Cidre zubereiten würden. Auf den flachen Feldern zwischen den Obstgärten hatte er all seinen Mut zusammengenommen, Hebon zu einem schnellen Galopp angetrieben und sich den Wind ins Gesicht wehen lassen. Ein Gefühl von Freiheit war in ihm aufgestiegen, und in diesem Moment hatte er den Zwischenfall mit Arrow endgültig hinter sich gelassen und Abschied von ihr genommen. Sie gehörte der Vergangenheit an. Jetzt galt es, nach vorne zu schauen.
Zu dieser Jahreszeit war das Land grün und die Straßen fest, aber noch nicht staubig. Hugh und sein Gefolge aus Sergeanten und Treibern trieben die Herde auf die drei Meilen entfernte Küste zu. Hughs erwachsene Brüder begleiteten sie, weil es nach der Meinung ihres Vaters eine nützliche Erfahrung für
sie sein konnte, und tatsächlich hatten sie sich bewährt und waren ihm eine große Hilfe gewesen. Letzte Nacht hatten sie ungewöhnliches Taktgefühl bewiesen und ihn allein gelassen, obwohl ihr Grinsen am nächsten Morgen alles andere als diskret gewesen war.
Ralph trabte vorneweg. Sein Hut saß in einem verwegenen Winkel auf seinen dunklen Locken, und in den Schweif seines Pferdes hatte er ein rotes Band geflochten. Hugh schüttelte den Kopf, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. Für Ralph war das Leben ein einziges großes Abenteuer. William gesellte sich zu ihm. Er wirkte ernst und nachdenklich.
»Was meinst du, warum hat unser Vater nicht einen von uns in der Normandie zurückgelassen?«, fragte er. »Ralph oder ich hätten dem König von Frankreich den Treueeid leisten und die Landsitze für unsere Familie erhalten können.«
»Ihr seid beide nicht volljährig, und es
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