Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
uns nicht von klein auf eingeschärft, dass die Ehre heilig ist? Dass man an ihr festhalten muss, koste es, was es wolle? Aber was, wenn der Preis für diese Ehre darin besteht, der Ehrlosigkeit eines anderen Vorschub zu leisten? Was dann?«
Mahelt erwiderte nichts darauf, denn wenn es eine Antwort gab, wusste sie nicht, wie sie lauten sollte.
»Ich bin zu dir gekommen, weil ich nicht wusste, wo ich sonst hingehen sollte.« Will hob die Schultern. »Earl Roger mag mich nicht, aber er ist ein gerechter Mann mit einem guten Urteilsvermögen, und ich dachte, er würde mir vielleicht zuhören. Gibt es … kann ich irgendwo schlafen?«
»In einem Turm ist eine Gästekammer. Und eine Matratze wird sich auch für dich finden.«
»Danke. Und für die Tür hätte ich gerne einen Riegel.« Er presste die Lippen zusammen.
Mahelt hätte fast gesagt, das erübrige sich, er sei in Framlingham vollkommen sicher, aber dasselbe hatte für Alais in Pembroke gegolten.
»Warte hier«, meinte sie. »Ich kümmere mich darum.«
»Nein… geh nicht.« Er hielt sie am Ärmel fest. »Bitte.«
Wieder einmal drohte die Wut darüber, ihren starken, durch nichts zu erschütternden Bruder in einem solchen Zustand zu sehen, sie zu überwältigen. Er kam ihr vor wie ein verlorenes Kind.
»Ich will nur den Zofen ein paar Anweisungen erteilen«, beruhigte sie ihn. »Dann komme ich wieder, ich verspreche es.«
Die Männer saßen am Tisch in der Kammer des Earls und hörten schweigend zu, während Will stockend seine Geschichte erzählte. Auch Mahelt war anwesend, sie saß neben ihm und gab ihm stumm Kraft. Hugh hatte an der anderen Seite von ihr Platz genommen. Als Will geendet hatte, wehrte er die Reaktionen der Männer, die ihr Entsetzen und ihr Beileid bekundeten, so ungeschickt ab, als pariere er Schwerthiebe mit einem gespaltenen Schild.
Der Earl lehnte sich zurück.
»Ob John diese Tat begangen hat oder nicht – seine Art, über ein Reich zu herrschen, ist nicht hinnehmbar. Seine Söldner tun, was sie wollen, und er gibt ihnen Autorität, die sie missbrauchen. Niemand ist mehr sicher. In jedem Haus gibt es Spione. Wenn der König etwas nicht auf dem legitimen Weg erreichen kann, bricht er die Gesetze. Er hat geheime Zeichen und Losungen ausgegeben, und seine Anhänger führen jeden seiner Befehle aus, ohne sich darum zu scheren, was in der Öffentlichkeit gemunkelt wird. Menschen werden gefoltert und ermordet. Immer neue Forderungen werden gestellt, Versprechen gebrochen. Was zu viel ist, ist zu viel. Wenn der König sich nicht bereiterklärt, auf die Bedingungen der Charta einzugehen und sich an sie zu halten, müssen wir etwas unternehmen!«
»Viele haben sich bereits gegen ihn aufgelehnt«, warf Will ein. »Und nicht nur im Norden. Mowbray, de Behun, de Vere und Albini haben sich gegen ihn ausgesprochen, und andere werden ihrem Beispiel folgen.«
Der Earl musterte ihn.
»Aber dein Vater nicht.« Er beugte sich in seinem hohen Lehnstuhl nach vorne. »Ich verfüge über gute Informationen. De Vere und Albini sind mit mir verwandt. Ich nehme diese Sache nicht auf die leichte Schulter, denn wenn ich mich gegen
John stelle, muss ich darauf vorbereitet sein, sowohl gegen seine Söldner als auch gegen die Barone zu kämpfen, die ihm die Treue halten – und dieser Kampf wird nicht nur mit der Schreibfeder eines Anwalts, sondern mit Schwert und Schild geführt. Ich bin auf einen solchen Konflikt nicht erpicht, aber wir haben einen Punkt erreicht, wo eine Entscheidung getroffen werden muss.« Er bedachte die Männer am Tisch mit einem bedeutungsschwangeren Blick.
Mahelt senkte den Kopf und rieb mit dem Daumen über ihren Ehering. Sie kam sich vor, als säße sie in der Falle. Wenn sie sich dafür entschieden, Widerstand zu leisten, würden sich ihr Mann und ihr Bruder gegen ihren Vater stellen und damit ihre angeheiratete Familie gegen ihre Blutsverwandten. Sie hasste John aus tiefster Seele, aber sich von ihm loszusagen hieß, sich auch von ihrem Vater loszusagen, und das ging fast über die Grenzen des Erträglichen hinaus.
»Wie wollen wir also vorgehen?«, fragte Hugh. »Zu beschließen, uns dem König zu widersetzen, ist eine Sache, es auch wirklich zu tun, eine ganz andere. Wir brauchen Macht und Einfluss, und beides haben wir im Moment noch nicht in ausreichendem Maße.«
»Das ist richtig«, erwiderte der Earl. »Wir wissen, wer von den Edelleuten sich auf unsere Seite stellen wird, aber wir müssen unsere Netze weiter
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