Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Rolle spielte, genau die gleichen Entwicklungen abgespielt haben wie nach der letzten Eiszeit: Aus einem kaltzeitlichen Offenland wurde nach dem Ende einer Eiszeit stets ein warmzeitliches Waldland. [95] Ansichten, die mit der Megaherbivoren-Hypothese verbunden werden, sind überdies deswegen falsch, weil damit behauptet wird, ein Typ von Landschaft, der sich erst unter den Bedingungen einer dauerhaften Nutzung durch Haustiere herausbildete und danach zu einem ästhetischen Ideal wurde, habe schon früher bestanden. Stets hatte man halboffene Weidelandschaften für altertümlich gehalten; Claude Lorrain trug das Seine dazu bei. Doch daraus ist in keiner Weise abzuleiten, dass dieser Landschaftstyp auch einen «Urzustand» repräsentiert. Eine solche Behauptung ist landschaftshistorisch nicht korrekt.
Anders als die Verfechter der Megaherbivoren-Hypothese meinen, könnte die Entwicklung vom Offenland zum Wald nach der letzten Eiszeit sogar durch eine hohe Populationsdichte an großen Säugetieren gefördert worden sein. Vor allem Rentiere zerstörenmit ihren sehr spitzen Hufen die Vegetationsdecke. In den kleinen Senken, die aus den Abdrücken der Hufe hervorgehen, kann sich Saatgut festsetzen, das vom Wind herbeigeweht wird, auch das von Bäumen, etwa Birken und Kiefern, mit denen die Wiederbewaldung nach der letzten Eiszeit begann.
Birken wuchsen in Meeresnähe besser, Kiefern eher im Bereich eines etwas trockeneren, stärker kontinental getönten Klimas. [96] Zwischen Gebieten, in denen sich dank des Niederschlagsreichtums und einer immer länger werdenden Vegetationsperiode Wälder ausbreiten konnten, und anderen, in denen die Bedingungen für die Ausbildung von Wäldern zu trocken waren, entstanden keine scharfen Grenzen, sondern Gradienten des allmählichen Übergangs. Auch bildeten sich Bereiche mit extrazonaler Vegetation: Warme und trockene Südhänge innerhalb des Waldgebietes waren weniger dicht bewaldet, so dass dort weiterhin Gewächse vorkamen, die typisch für zonale Steppen sind. Besonders trockene Bedingungen herrschten auf Kalkuntergrund; daher waren solche Bereiche extrazonaler offener Vegetation in Karstgebieten weiter verbreitet. Wald konnte sich extrazonal auch an niederschlagsreicheren oder feuchteren Lokalitäten innerhalb eines zonalen Offenlandgebietes etablieren.
Unter Wäldern bildete sich allmählich ein typischer Waldboden heraus, etwa eine Braunerde. Wo Steppen vorherrschten, entstanden andere Böden, die man als Schwarzerde bezeichnet. Weil in den trockensten Regionen Mitteleuropas Schwarzerden anzutreffen sind, meinte man, dort seien nach der letzten Eiszeit keine dichten Wälder entstanden, vielmehr habe eine Vegetationsformation trockener Standorte, die sogenannte Steppenheide, überdauert. Später hätten Menschen genau dort, im Altsiedelland, erste Ackerbauernsiedlungen in Mitteleuropa angelegt. Dies sind Kernargumente der von Robert Gradmann formulierten Steppenheidetheorie. [97] Sie konnte durch pollenanalytische Befunde widerlegt werden: Auch in den trockensten Gebieten Mitteleuropas bildeten sich an zonalen Standorten Wälder aus, und zwar auch auf Schwarzerde. [98] Doch mag es gradientenartige Situationen am Rand der Waldgebiete gegeben haben; vielleicht waren Wälder introckenen Regionen nicht so dicht wie andernorts, und es gab wohl Lokalitäten mit azonaler Vegetation innerhalb der Waldgebiete. Nicht geklärt ist, welche Übergänge es zwischen Wald- und Steppenböden gibt und wie viele Bäume in einem Gebiet stehen können, damit sich eine Schwarzerde und keine Braunerde bildet. Es lässt sich ferner nicht sagen, wie lange ein Gebiet dicht bewaldet sein muss, damit sich eine unter früherem Offenland entstandene Schwarzerde in einen Waldboden verwandelt – und wie dieser Vorgang in der Nacheiszeit konkret ablief.
Jäger und Sammler im Wald
Birken keimen unter sehr lichten Bedingungen, treiben aber unter dem Schirm anderer Bäume seltener aus, so dass sich birkenreiche Vegetationsstadien im gesetzmäßigen Ablauf der Sukzession zu anderen Wäldern wandelten. Auch Kiefernbestände waren vielerorts nicht stabil. Kiefern sind anfällig gegenüber Schädlingen, große Kiefern sind gegenüber Windbruch gefährdet, außerdem gehören Kiefern zu den wenigen mitteleuropäischen Bäumen, die von einem Waldbrand zerstört werden können. Kiefern blieben nur in Trockengebieten dominant; gab es dort einen Waldbrand, war die Kiefer auch der einzige Baum, der sich nach einem
Weitere Kostenlose Bücher