Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
und Tigris. Im dortigen regenarmen Klima konnte man seit etwa 6000 vor Chr. nur dann Ackerbau betreiben, wenn Felder künstlich bewässert wurden
(Abb. 13–1)
. [114] Da die Anlage von Kanälen zur künstlichen Bewässerung mit erheblichem Aufwand verbunden war, kann man davon ausgehen, dass die Lage von Feldern nicht mehr verändert wurde; sie wurden mutmaßlich auch von ortsfesten Siedlungen aus bewirtschaftet. Die künstliche Bewässerung entlang der sehr langen Flüsse war nur dann möglich, wenn sie von einer übergeordneten Instanz reguliert wurde und wenn schriftliche Nachrichten über weite Distanzen verbreitet werden konnten. Die Entstehung von früher Schriftlichkeit und ersten Staaten wird damit in Zusammenhang gebracht. Die Produktion schriftlicher Nachrichten hatte das Einsetzen einer historischen Überlieferung zur Folge. [115]
Als Zentren der Verwaltung entstanden Städte, die aus den ländlichen Räumen heraus mit Nahrungsmitteln versorgt werden mussten. Als Orte der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Macht mussten sie wehrhaft sein und verteidigt werden können. Daher wurden sie besonders befestigt, unter anderem mit Mauern und Gräben. In Städten lebten Bürger, die in der römischen Antike als «cives» bezeichnet wurden. Sie bildeten eine «civitas», eine Bürgerschaft oder Zivilisation. Die Entstehung einer Zivilisation war also mit dem Aufkommen von Städten und Staaten verbunden.
Abb. 13-1 In den Trockengebieten Vorderasiens kann man nur dort Kulturpflanzen anbauen oder einen Garten anlegen, wo Land künstlich bewässert wird. In dieser Aufnahme ist der «Garten des Königs» bei Mahan in der Provinz Kerman, Iran, zu sehen.
Die Besiedlung eines Landes ging niemals von Städten aus, weil diese ohne ein bereits vor ihrer Gründung besiedeltes ländliches Umfeld nicht existieren konnten. Ländliche Siedlungen konnten für sich allein bestehen, auch unter den Bedingungen der Landnutzung ohne Infrastruktur; Städte waren aber immer auf ländliche Siedlung und eine Versorgung durch sie angewiesen. Städte brauchten also stets eine politische und wirtschaftliche Infrastruktur.
In der Nähe von dauerhaft bestehenden Siedlungen wurden Gärten angelegt. Auch Gärten waren dauerhaft; ihre Anlage lohnte sich nur dann, wenn klar war, dass die Siedlungen, zu denen siegehörten, nicht mehr verlagert werden sollten. [116] In den Gärten wuchsen Bäume, die einen Ertrag erst nach mehreren Jahren oder Jahrzehnten versprachen. Sie wurden veredelt, indem man Edelreiser auf Wildlinge pfropfte. [117] Im Bereich der Stadtkulturen des Nahen Ostens wurden unter anderem Oliven, Feigen und diverses Obst angebaut. Auch der Weinbau entwickelte sich. Die Bevölkerung wuchs an; daher musste die Landnutzung intensiviert werden. Handelswege auf dem Wasser und auf dem Land wurden eingerichtet, so dass mehr Nahrungsmittel in die Städte geschafft werden konnten.
Die Staaten mit ihren Infrastrukturen, mit ihren Städten und Ackerbaugebieten waren zwar so gegründet worden, dass sie auf lange Zeit bestehen sollten. Auf eine Phase des Aufbaus und der Expansion folgte nach spätestens einigen Jahrhunderten aber dennoch ein Niedergang. Aus historischer Sicht lässt sich das Aufblühen und Verschwinden früher Zivilisationen beispielsweise mit gewonnenen und verlorenen Kriegen erklären. Aus ökologischer oder landschaftswissenschaftlicher Sicht gibt es andere Gründe dafür, dass Zivilisationen nach einer Blütezeit wieder verschwanden. Bei der künstlichen Bewässerung verdunstete das Wasser auf den Feldern, darin gelöste Salze blieben auf der Bodenoberfläche zurück. Betrieb man sehr lange Zeit Bewässerungslandbau, wurden die Böden immer salzhaltiger. Gerste sowie Linsen und einige andere Hülsenfrüchtler konnte man noch auf Flächen anbauen, die leicht versalzen waren. Später gediehen auch diese Pflanzen nicht mehr, und vor allem in größeren Entfernungen von den Flüssen musste schließlich der Ackerbau dauerhaft aufgegeben werden. Die zur Verfügung stehenden Nahrungsmittelmengen gingen zurück, Staaten gingen unter. Andere blühten auf, in deren Umfeld noch genug salzfreies Ackerland genutzt werden konnte. Dauerhaft lösen ließ sich das Problem der Bodenversalzung nicht bis in die moderne Zeit; etliche Flächen, die zur Blütezeit einer orientalischen Kultur besiedelt und beackert waren, sind heute Wüstengebiete, die noch immer nicht wieder in eine Ackernutzung einbezogen werden konnten.
Antike
Weitere Kostenlose Bücher