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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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wieder weg. Er schrieb
anders weiter: »… schließlich habe ich Sie ihm als Mitstreiter empfohlen.«
Ganz gefiel ihm dieser Satz auch nicht, aber er verdeckte wenigstens den unterdrückten.
    Â»Erwarten Sie von Sir John keine schnellen Taten. Helfen Sie ihm mit
Ihrer Geistesgegenwart gegen Bosheiten.«
    Richardson zögerte. Warum schrieb er das? Zweifel an Maconochie? Er
strich den Satz wieder aus. Er wollte nachher alles noch einmal ins reine
schreiben.
    Â»Auch in verzweifelten Lagen ist er nie verloren. Sogar in der
Politik …« Nein, anders: »Dies gilt zweifellos auch für …« Zweimal Zweifel.
Gestrichen!
    Wenn Franklin in Maconochie keine Stütze fand, wenn er die Politik
nicht begriff, wenn er blind war für Machtverhältnisse? Dann half auch dieses
Schreiben nicht! Richardson zerriß es, warf es fort und faltete die Hände. Wenn
ein Brief nicht gelingen wollte, war er meist durch ein Gebet zu ersetzen.
    Die Bark Fairlie war überfüllt.
Auswanderer, Abenteurer, Kirchenleute, Karrieristen, Reformer, und mittendrin
der neue Gouverneur von Van Diemen’s Land mit seiner Frau und der kleinen
Tochter Ella, ferner seiner zwanzigjährigen Nichte Sophia Cracroft. Auf dem
Schiff fuhr auch sein Privatsekretär Maconochie mit einer zahlreichen Familie
mit. Und Hepburn war dabei, der Weggenosse aus der Arktis, treu und hilfreich.
Etwas dicker war er geworden – auch das tröstete.
    Den ganzen Tag hörte Sir John fortwährend »Eure Exzellenz« hier,
»Eure Exzellenz« dort. Es schien, als seien alle nur mitgefahren, um irgendwann
das Wort an ihn richten zu können. »Ein Vorgeschmack«, sagte Lady Jane. »Eine
gute Übung«, meinte Sir John.
    Van Diemen’s Land: es war 1647 von dem Holländer Abel
Tasman entdeckt und bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts für einen Teil
der Terra australis gehalten worden. Erst Matthew Flinders und sein Freund Bass
hatten die Insel umfahren und kartographiert. Ab 1803 war sie ein Straflager
geworden, ab 1825 eine von Sydney unabhängige Kolonie, in der auch freie
Siedler wohnten, solche, die nicht zuvor als Sträflinge ins Land gekommen
waren.
    Zur Geschichte gab es kaum noch Fragen. Auch die geographischen
Einzelheiten kannte John, die Positionen der wichtigsten Ansiedlungen, Kaps und
Berge, die Namen der bisher entdeckten Flüsse. Einer der reichen Investoren,
die auf der Fairlie mitfuhren, hatte gesagt: »Mit uns
kommt eine neue Zeit nach Van Diemen’s Land. Mit uns und Sir John!« Die Insel
sollte eine Kornkammer des Südens werden und eines der schönsten Länder der
Erde, und Hobart Town die schönste Stadt, und … Aber warum nicht? John hatte
nicht vor, seine regulären sechs Jahre dort als besserer Gefängnisaufseher
abzusitzen. Wo Siedler waren, da herrschte ein offener, praktischer Sinn, da
war etwas zu machen. Und die Sträflinge? Es kam auf die Art des Verbrechens an.
Wenn einer aus Hunger einen Laib Brot stahl oder im Wald einer Lordschaft
wilderte, dann bewies er damit kaum mehr als gesunden Menschenverstand.
    Johns Vorgänger, George Arthur, hatte die Kolonie zwölf Jahre lang
regiert. Er hatte in ihr nur eine Strafanstalt gesehen und für die Siedler
wenig mehr getan, als ihnen Sträflinge als Arbeitskräfte zuzuteilen. Dieses
Bewährungs- und Ausnutzungssystem hieß Assignment. Ansonsten hatte er den
eigenen Besitz so gründlich vermehrt, daß er die Insel als schwerreicher Mann
wieder verließ. Wie er das wohl angestellt hatte?
    Die Ureinwohner des Landes, ein braunes, kraushaariges Volk, hatte
Arthur nahezu ausgerottet und sich nicht geschämt, diese Untat Krieg zu nennen.
Kein Wort mehr über Arthur! Nur der Disziplin halber wollte John anfangs so
tun, als setze er dessen Arbeit fort.
    Als Gouverneur hatte er sich mit einem Exekutivrat und einem
Legislativrat abzusprechen, aber wenn er gegen diese Stimmen eine andere
Entscheidung fällte, konnte niemand sich ihr widersetzen. Er unterstand nur dem
Kolonialminister in London, diesem allerdings ohne Wenn und Aber.
    Morgens wieder die lästige Verspannung im Nacken. Er hatte
geschwitzt und sich hin und her geworfen. Aber das gehörte zu jeder wichtigen
Arbeit: Furcht und Panik wollten rechtzeitig durchlitten sein. Einmal hatte er
eine Stimme gehört: »Wenn du eines nicht kannst, John Franklin, dann ist es die
Politik!«
    Er war jetzt über

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