Die Entdeckung der Langsamkeit
groÃen
FluÃbiegung. Themseabwärts wurde die Erebus von einem
kleinen Raddampfer namens Rattler gezogen und die Terror vom noch kleineren Blazer. Jahrzehntelang hatte für John die Weisheit aller Navigation darin gelegen, daÃ
ein Schiff von allein sein Ziel erreichte, wenn man ihm nichts in den Weg
legte. Nie hatte er gesagt: »Fahren wir hin!«, sondern stets: »Lassen wir sie
hinfahren.« Mit dem Geschlepptwerden muÃte er sich erst abfinden, zumal selbst
der hohe Bug der Erebus die Rauchschwaden des Rattler nicht abhalten konnte. John hustete und brummte,
aber im Grunde war er glücklich wie als Kind in Skegness. Er packte den neben ihm
stehenden Fitzjames, Commander der Erebus, an der
Schulter und schüttelte ihn. »Wir sind flott«, sagte er, »die Flucht ist
gelungen!« Fitzjames lachte höflich. »Entschuldigung!« sagte John leise. Ihm
war eingefallen, daà Fitzjames schrecklich in Sophia verliebt war. »Ein, zwei
Jahre sind eine lange Zeit«, antwortete der Leutnant. »Das meine ich auch«,
murmelte John. Er rechnete eher mit drei Jahren und dachte belustigt an alle
Fortschrittsgläubigen, die auf der Seekarte nördlich Kanadas eine Linie durchs
Inselgewirr zeichneten, mit dem Finger darauf entlangfuhren und annahmen, die
Schiffe würden diesem folgen, nur etwas langsamer. Tausend Meilen segeln, dann
acht Monate im Eis warten, dann wieder einige hundert Meilen segeln und wieder
warten â jeder Begriff von Langsamkeit würde solche Leute schon bald verlassen
haben. Nach drei Monaten Wartezeit würden sie nicht mehr an Bewegung glauben
und den Verstand verlieren.
Nächste Poststation: Stromness auf den Orkneys, um Briefe
abzuschicken, Petropaulowski in Kamtschatka oder Hongkong, um welche zu
empfangen. Sieben Brieftauben hatten sie an Bord, zweitausend Bücher und zwei
Drehorgeln, die fast dreiÃig verschiedene Weisen spielen konnten, aber nicht
das Opus 111. Die Lebensmittelvorräte reichten für fast vier Ãberwinterungen.
Die Herren Rattler und Blazer â Franklin hatte ihnen das weibliche Geschlecht nicht zubilligen können â verabschiedeten
sich bei der Insel Rona. Sie waren bald nur noch an zwei schmutzigen Wölkchen
vor der Küste zu erkennen.
Einen guten Monat lang waren die schwerbeladenen, kupfergepanzerten
Schiffe über den Atlantik unterwegs. Zwölf Gottesdienste hielt John Franklin in
dieser Zeit selbst ab, und obwohl die Mannschaft merkte, daà die Predigten
nicht aus den dafür vorgesehenen Büchern stammten, war sie zufrieden. Der
Segelmeister sagte: »Unser Franklin ist ein Bischof, verkleidet als Kapitän,
und daher um so heiliger.«
Ende Juli sichteten sie in der Baffinbai ein Walfangschiff namens Enterprise. Der Skipper kam an Bord und sprach mit Franklin.
Das Eis sei dieses Jahr stärker als im letzten. »Ich vertraue darauf, daà wir
gut durchkommen«, sagte Franklin ernst, »und die Mannschaft vertraut mir«. Der
Walfänger war ein Mann der Logik: »Und wenn Sie sterben, Sir?« John sah über
die Reling ins Wasser hinunter. »Dann vertraue ich der Mannschaft. Was von mir
übrigbleibt, muà nicht jedesmal ich selbst sein.« Das war ein Satz aus einer
seiner seltsamen Predigten.
Da der Wind günstig war, trennte man sich bald wieder. Die Enterprise blieb weiter beigedreht, weil ein Wal gesichtet
worden war. Erebus und Terror segelten nordwestwärts in die Arktis. Noch bevor sie auÃer Sicht gerieten,
begann es zu schneien.
Starke Schiffe, mit allem versehen, rührige Matrosen, respektable
Offiziere, alle furchtlos und gutgelaunt unter dem Kommando eines geduldigen
und ganz unbeirrten alten Gentleman, dieses Bild der Expedition blieb stehen
vor den Augen der Welt.
Neunzehntes Kapitel
Die groÃe Passage
Bis zum Wintereinbruch 1845 suchte Franklin vom Lancastersund
aus eine Durchfahrt nach Norden statt, wie die Admiralitätsbefehle es vorsahen,
nach Südwesten. Er hoffte noch immer auf ein offenes Polarmeer. Die Schiffe
umrundeten aber nur eine groÃe Insel, Cornwallis, ohne etwas anderes zu finden
als wachsende Eismassen. Franklin überwinterte bis zum Frühjahr 1846 in einer
geschützten Bucht der Beechey-Insel, benannt nach seinem ehemaligen Ersten auf
der Trent. Drei Männer starben hier, zwei an
Krankheiten, einer ertrank. Man errichtete ihnen sorgsam gemeiÃelte Grabsteine
wie auf einem englischen Dorffriedhof. Dann
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