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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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Fehler
entdeckt hatte, geschah es oft, daß der Lehrer von Erziehung zu reden begann,
beschwörend und feurig oder etwas wehmütig, aber immer lächelnd. John wollte
versuchen, Erziehung zu verstehen, denn er wollte gern Burnaby recht froh
machen.
    Dr. Orme saß samstags dabei und hörte zu. Mathematik konnte er
vielleicht besser als Burnaby, aber ein Absatz in der Stiftungsurkunde der
Schule verbot ihm, etwas anderes zu unterrichten als Religion, Geschichte und
Sprachen.
    Ab und zu schmunzelte er.
    John Franklin saß im Kerker. Er hatte einen, der sich ungeduldig
abwandte und den Rest seiner Antwort nicht mehr hören wollte, einfach gepackt
und festgehalten, ohne genügend zu bedenken, daß es sich um Burnaby handelte.
Ich kann nichts loslassen, hatte John daraus gefolgert, kein Bild, keinen
Menschen und keinen Lehrer. Burnaby hingegen hatte gefolgert, daß John schwer
bestraft werden müsse.
    Der Kerker war die schwerste Strafe. Für John Franklin nicht, der
konnte warten wie eine Spinne. Wenn er nur etwas zu lesen gehabt hätte!
Inzwischen liebte er Bücher aller Art. Papier konnte warten und drängte nicht.
Gulliver kannte er, Robinson und Spavens’ Biographie, neuerdings auch Roderick
Random. Eben wäre dem armen Jack Rattlin beinahe das gebrochene Bein abgesägt
worden. Der unfähige Schiffsarzt Mackshane, wahrscheinlich ein heimlicher
Katholik, hatte schon die Aderpresse angesetzt, da war ihm Roderick Random in
den Arm gefallen. Mit giftigem Blick hatte der Pfuscher das Feld geräumt, sechs
Wochen später war Jack Rattlin auf zwei gesunden Beinen wieder zum Dienst
erschienen. Ein gutes Argument gegen alle voreiligen Maßnahmen. »Es gibt drei
Zeitpunkte, einen richtigen, einen verpaßten und einen verfrühten.« Das wollte
John ins Heft schreiben, wenn er hier wieder heraus war.
    Im Kerker war es wenig behaglich, der Kellerstein hatte noch Winter.
Auf dem Rücken liegend, sprach John durchs Gewölbe hindurch mit Sagals, dem
Geist, der alle Bücher der Welt geschrieben hatte, dem Schöpfer aller Bibliotheken.
    Burnaby hatte gerufen: »So lohnt ihr’s mir!« Warum »ihr«? Es war
doch nur John gewesen, in dessen Griff er gezappelt hatte. Und Hopkinson, vor
Hochachtung raunend: »Mann, bist du stark!«
    In der Schule würde er nicht bleiben können. Wo konnte er auf
Matthew warten? Der hätte längst auftauchen müssen. Besser fliehen, sobald er
konnte! Auf einem Lastkahn sich verstecken unter der Plane im Getreide. Sollten
sie denken, er sei im Lud ertrunken.
    Im Hafen von Hull konnte er auf einem Kohlensegler anfangen wie der
große James Cook.
    Mit Tom war nichts los. Sherard Lound, der wäre mitgegangen! Aber
der hackte jetzt Rüben auf dem Feld.
    Während John mit Sagals Rat hielt, tat sich die Kellertür auf, und
Dr. Orme kam herein, den Kopf tief zwischen den Schultern, als wolle er zeigen,
daß ein Kerker für Lehrer eigentlich nicht gedacht sei.
    Â»Ich komme, um mit dir zu beten«, sprach Dr. Orme. Er sah John sehr
genau, aber nicht unfreundlich an. Seine Augendeckel klappten auf und zu, als
sollten sie seinem angestrengten Gehirn Luft zufächeln. »Man hat mir deine
Bücher und dein Schreibheft vorgelegt«, sagte er. »Wer ist eigentlich Sagals?«

Viertes Kapitel
    Die Reise nach Lissabon
    Jetzt war er auf einem Schiff, mitten im Meer! »Und ich
bin nicht zu spät dran«, flüsterte John und lächelte den Horizont an. Mit der
Faust hieb er begeistert auf die Reling, immer wieder, als wollte er dem Schiff
einen Rhythmus vorgeben, in dem es dahinstampfen sollte bis nach Lissabon.
    Die Kanalküste war schon außer Sicht, der Nebel nur noch ein
Dunststreifen. Das Tauwerk stand oder lief kreuz und quer, es führte an
irgendeiner Stelle immer nach oben und zog dem Schauenden den Kopf in den
Nacken. Nicht das Schiff trug die Masten, sondern die Segel zogen und hoben das
Schiff, es schien sich nur mit tausend Stricken an ihnen festzuhalten. Was
hatte er nicht für Schiffe gesehen im Kanal, reich getakelt, mit Namen wie Leviathan oder Agamemnon! Seit
den Grabsteinen von St. James hatte er keinen so würdigen Ort für Buchstaben
getroffen wie den Bug oder das Heck eines Schiffes. Zuletzt war aus dem Nebel
ein riesenhaftes Linienschiff aufgetaucht, beinahe wären sie gerammt worden
trotz der Glocken und Nebelhörner.
    Vor ihm lag das Meer, die gute Haut, die

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