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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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über
Hand in den Topp. Im selben Moment ein Knall: die Investigator kriegte einen Schuß vor den Bug. Drüben auf dem anderen Schiff waren die
Geschütze längst ausgerannt, es sah bedrückend aus. Mitten im Lärm hörte
Sherard, wie der zweite Leutnant John Franklin irgend etwas mit kühler Miene
ins Gesicht sagte. Taylor war zur Stelle und beeilte sich, das weiße Tuch
wieder herunterzubekommen. Er hatte allerdings Schwierigkeiten. Knoten, die
John Franklin festgezogen hatte, waren von einem Taylor nicht zu lösen. Vom
Achterdeck her ertönte Matthews Stimme:
    Â»Lassen Sie den Lappen oben, Mr. Taylor. Wozu gebe ich eigentlich
Befehle?«
    Dann rief einer auf dem Vordeck: »Seht euch das an!« Am Mast des
französischen Kriegsschiffs stieg eine englische Flagge hoch und gesellte sich
zur Trikolore.
    Einen Augenblick lang herrschte tiefe Stille. Irgend etwas war
Sherard noch unklar. Warum hatte John und nicht Taylor, und warum hatte Taylor
dann … Aber er konnte nicht weiter nachdenken. Ein allgemeiner Jubel der Erleichterung
brach aus.
    Le Géographe war ein Forschungsschiff,
ausgestattet mit einem englischen Paß. Beide Schiffe lagen nun beigedreht, über
ihre friedlichen Absichten gab es kaum noch einen Zweifel.
    Â»Fraternité«, riefen die Franzosen. »Nett, euch zu treffen!« brüllte
Mockridge hinüber. Irgend jemand stimmte bemerkenswert falsch ein Lied an, es
folgte donnernder Gesang in erstaunlich richtiger Tonfolge. Um Lieder waren
auch die Franzosen nicht verlegen. Die Offiziere beider Schiffe hatten Mühe,
sich auch nur den Nächststehenden verständlich zu machen. Auf dem Achterdeck
erschien Trim, prüfte blinzelnd die Szene, streckte dann eine Hinterpfote in
die Höhe und begann sich zu putzen. Matthew ließ sein Boot klarmachen. »Der
Kapitän verläßt das Schiff, Gentlemen!« Die Midshipmen eilten zu den Großrüsten
und zogen die Hüte. Der Bootsmann pfiff Seite. Das Ritual lief ab wie zu Hause
im Spithead, und das war vielleicht gut in einer Situation, in der man noch
nicht genau wußte, wie lang der Friede halten würde. Noch immer war die Investigator durchaus gefechtsklar und wies dem anderen
Schiff die Breitseite. Vielleicht geschah das aber auch nur, um den
Stückmeister zu beruhigen.
    Â»Was war denn vorhin?« fragte Sherard seinen Freund, aber der schien
es selbst nicht zu wissen. Mockridge meinte nur: »Mr. Franklin hat gute Augen.
Er sieht manche Befehle, ohne sie zu hören, und das durch dicke Wände
hindurch.«
    Die Schiffe blieben eine Nacht und einen halben Tag zusammen, die
Kapitäne unterhielten sich ausgiebig, die Mannschaften winkten sich zu. Krieg
in Europa, Friede südlich der Terra australis! Zum ersten Mal seit Beginn aller
Geschichte trafen sich in dieser Gegend zwei europäische Schiffe verschiedener
Nation, und – sie fügten einander nichts zu. Mr. Westall sagte: »Das ist was
für die Ehre der Menschheit.« John schwieg, aber Sherard hatte den Eindruck,
als sei er sicher und heiter wie nie zuvor. Er schien sogar flinker zu verstehen,
was einer sagte. John war gewiß mit einem großen, guten Einfluß im Bunde, und
vor allem: mit Matthew. Und mein Freund ist er auch, dachte Sherard.
    Trim schlief inzwischen auf einer Persenning, und Mr. Colpits
knurrte: »Erst die Schufterei, dann eine Ewigkeit die Lunte in der Hand, und
letzten Endes alles für die Katz!«

Achtes Kapitel
    Die lange Heimreise
    In der Kapitänskajüte des Ostindienfahrers Earl Camden standen Leutnant Fowler von der Royal Navy und
Kapitän Dance von der Ostindischen Kompanie.
    Â»Sie werden mir noch viel zu erzählen haben, Mr. Fowler«, sagte
Dance. »Jetzt müssen Sie erst einmal nach England zurück. Wen haben Sie von der
alten Investigator noch dabei?«
    Â»Auf die Earl Camden kommen noch der Maler
William Westall –«
    Â»Ich kenne seinen älteren Bruder. Der malt gute Bilder nach der
Bibel, ich kenn’ eines: ›Esau verlangt Isaaks Segen‹. Ja, gut, und weiter?«
    Â»John Franklin, Midshipman, achtzehn Jahre alt, über drei Jahre auf
See.«
    Â»Guter Mann?«
    Â»Keine Beanstandungen, Sir. Der erste Eindruck, den er macht, ist
allerdings –«
    Â»Nun?«
    Â»Er ist nicht gerade sehr hurtig.«
    Â»Ein Lahmarsch also, eine Napfschnecke?«
    Â»Vielleicht. Aber von besonderer Art. Keine Beanstandungen. Ohne

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