Die Entdeckung der Langsamkeit
das gelang ihm nicht.
Er muÃte es tun, er muÃte hinauf! Sich heraushalten zu können war
ein Traum gewesen! Weg war die Unentschlossenheit des Kopfes. Aber jetzt wurde
der Körper rebellisch. Die Beine lahmten, die Zunge klebte, Kinn und Hände
zitterten mehr als zuvor. John hielt es mit dem Kopf, er wollte sehen, wie weit
er kam. Das erste Gewehr lud er im Unterdeck. Dabei übergab er sich und beschmutzte
die Waffe. Er muÃte sie abwischen, dann stieg er ins Mitteldeck. Dort fand er
ein zweites, schon geladenes Gewehr. Das dritte lud ihm ein stöhnender
Seesoldat direkt neben der obersten Treppe und reichte es ihm nach. John hatte
jetzt drei Gewehre. Er wuÃte, daà er nicht schieÃen konnte, solange er vor
Angst und Wut zitterte. Er durfte nicht zwiespältig sein, muÃte den Zorn
wegdenken, die Angst verstreichen lassen, den Ekel verschieben, und er durfte
damit nicht zu früh aufhören. Was nützte es, wenn er alle Schuld auf sich lud
und das Ziel verfehlte! Er hob das erste Gewehr über die Deckung hinaus, hoch
über seinen Kopf, und versuchte es auf den Kreuzmars des französischen Schiffes
zu richten, ohne daà mehr als seine Hände sichtbar wurden. Alle Winkel und
Entfernungen muÃte er aus dem Gedächtnis schätzen. Hinter seiner rechten Hand
erschien im Holz des Niedergangs plötzlich eine helle Mulde. Auch den Schuà und
das Singen des Querschlägers hatte er gehört. Danach konnte er den Winkel noch
genauer bestimmen. Er korrigierte die Richtung.
»Schieà doch endlich!« rief einer hinter ihm. Aber John Franklin,
der stundenlang eine Schnur in die Luft halten konnte, hatte auch Zeit zum
Zielen. Er wollte erst schieÃen, wenn er schon so gut wie getroffen hatte. Er
wartete. Noch einmal vereinte er alles zu einem zusammenhängenden,
einleuchtenden Bild: die Winkel, die geschätzte Höhe, die besiegten Bedenken,
die bessere Zukunft. Dann schoà er. Er warf das Gewehr weg, packte das zweite,
richtete es ein und schoà wieder, nahm das dritte und tappte die Treppe hinauf.
War der Schütze noch da? Das Takelgewirr war jetzt noch dichter, das zerfetzte
französische Bramsegel hüllte den genauen Standort ein. Ungedeckt schoà John
noch einmal auf den Kreuzmars. Nichts rührte sich dort.
Auf dem Achterdeck stand nur Leutnant Rotherham. Walford war mit
einem Enterkommando auf dem feindlichen Deck.
Da sah John, wie der Wind unter den Fetzen des Bramsegels drüben
einen Dreispitz aufs Meer hinaustrieb. Unter dem Kreuzmars hing plötzlich ein
FuÃ. Es war nur eine winzige Bewegung, ein FuÃ, der wenige Zoll tiefer sackte,
weil er keinen Halt mehr suchte. »Da, seht!« schrie einer von den irischen
Bootsleuten.
Der feindliche Schütze fiel herab, Kopf voraus. Es war, als wolle nur
der Kopf hinunter und der Körper folge widerstrebend, immer wieder Halt suchend
an Spieren und Stengen, bis er doch hinunter muÃte in die See.
»Den hat es erwischt!« schrie der Bootsmann.
»Nein, ich«, sagte John.
Auf Poop- und Achterdeck der Bellerophon waren allein achtzig Mann tot oder so schwer verwundet, daà sie im Grunde schon
im Sterben lagen. Die Ãberlebenden waren zu erschöpft, um zu jubeln. Auf beiden
Schiffen herrschte fast Stille. Es stank.
Simmonds war tot. Der wuÃte es jetzt.
»In dem Punkt magst du recht haben«, krächzte Walford, »die Toten
sehen es anders.« Er allein schien sich durch Reden erholen zu wollen. Es gab
jetzt viel zu tun, auch Signale waren zu entziffern. Admiral Nelson war
erschossen worden. Den Oberbefehl hatte Collingwood. Walford ging mit dem
fünften Leutnant und einem Prisenkommando auf das französische Schiff LâAigle und Henry Walker auf den Spanier Monarca, ein Schiff, auf dem hauptsächlich Iren Dienst
getan hatten.
Ein Sturm zog herauf und wütete schlimmer als der, den John mit
vierzehn Jahren in der Biskaya erlebt hatte, er versenkte mehr Schiffe als die
Kanonen. Vor allem die Prisen gingen verloren. Das Meer sprach sein Wort, es
gab Lecks zu stopfen, Stengen zu laschen und zu pumpen bis zum Umfallen. Die
ganze Nacht kämpfte man, um von der drohenden Küste wegzukommen.
Am frühen Morgen lieà der Sturm nach. John ging ins Orlopdeck und
setzte sich teilnahmslos irgendwo zwischen die Verwundeten. Er war zu müde zum
Denken oder Weinen, sogar zum Schlafen. Er lieà die Bilder kommen und gehen,
die Gesichter von Menschen, an
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