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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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überflüssig gewesen. Leider sei die
Nachricht vom längst abgeschlossenen Frieden verspätet eingetroffen. Aber was
hieß verspätet? Man hatte nicht lange genug auf sie gewartet! Das bedeutete es.
    Das Schiff war auf dem Wege nach England. In den ersten Wochen
redete man noch über die Niederlage. Fünfeinhalbtausend Briten gegen nur
viertausend Amerikaner, aber die Briten hatten im blinden Anrennen zweitausend
Mann verloren, die Amerikaner dank ihrer sichereren Befestigungen nur ganze
dreizehn, und auch die nur, weil sie ausbrachen und Helden werden wollten.
    Was Franklin dazu zu sagen hatte, war durch Schweigen hinreichend
ausgedrückt. Über die Unsinnigkeit einer Schlacht reden hieß dem Krieg selbst
Sinn beimessen. Hinzu kam, daß er noch sehr matt war. »Wegen ein paar versteckter
Deserteure und Schmuggelwaren«, sagte einer, »das war keinen Krieg mit den Amerikanern
wert!« Der konnte sich gewiß Ziele vorstellen, die es wert gewesen wären.
    Â»Wir hätten Washington und Baltimore nicht anzünden sollen. Die
Amerikaner sind schließlich Verwandte!« Krieg war gut, bloß nicht gegen
Verwandte.
    Â»Wäre Pakenham nicht gewesen, dieser Tobsuchtsgeneral!«
    Â»Hätten die Amerikaner nicht so gut geschossen! Woher können sie das
eigentlich?«
    Â»Man hätte ihnen die Unabhängigkeit nicht zugestehen dürfen!«
    Franklin ächzte und drehte sich zur Wand.
    Â»Er ist noch schwach«, hörte er sagen.
    Drei Wochen später tat er wieder Dienst. Er war beinahe
wie vorher. Nur war er jetzt das, was er gewesen war, noch deutlicher. Er
atmete anders, sein Körper war in Ruhe, sein Kopf war nicht mehr darauf aus, zu
verheimlichen, zu verraten oder zu zwingen.
    Â»Der ist anders geworden«, sagten sie und beobachteten ihn genau.
Und John selbst dachte: Ich habe keine Angst mehr. Bin ich überhaupt noch zu
beeindrucken? Das war schon fast wieder eine neue Angst.
    Der Kapitän, ein Schotte namens Walker, war ein Krieger durch und
durch, mager, nervös, aber stets in grimmig guter Laune, wenn die Ereignisse
sich zu überstürzen begannen. Er und Pasley, der erste Offizier, waren Muster
an Knappheit und Präzision. Sie lebten von Geschwindigkeit wie andere Leute von
Tee, Rum, Tabak oder guten Worten. Früher hatten sie John äußerlich korrekt,
aber doch auch gnadenlos behandelt. Umsonst hatte er sein Bestes versucht.
Immerhin hatte er um diesen Preis eine Menge gelernt. Was sie sprachen, war
immer Mitteilung oder Befehl. Niemals enthielt es einen Funken Kommentar. Bei
Wiederholungen behielten sie den einmal gewählten Wortlaut bei, das verhinderte
Konfusion. Aber obwohl sie mit der Knappheit schon viel Zeit sparten,
versuchten sie es auch mit der Schnelligkeit der Zunge. John war ihr liebstes
Opfer gewesen. Durch rasche Sätze und unvollständige Mitteilungen hatten sie
jeden Tag Fallen für ihn aufgestellt, kleine und große. Das mindeste war
gewesen, daß er sich mit Dingen beschäftigte, die längst erledigt waren: »Das
hatte ich aber gesagt, Mr. Franklin!« Und sie drangsalierten ihn mit ihrer
Ungeduld, wenn er nachfragte oder um Wiederholung bat.
    Damit war es vorbei. John war mit einem Male wieder stark genug, die
Ungeduld anderer zu ertragen, und damit war ihr Spiel zu Ende. Er bewegte sich
in seiner eigenen Gangart. Er gab seine Befehle, wie ein Zimmermann Nägel
einschlug, jeden einzelnen so gerade und so tief, bis er hielt. Er machte die
Pausen da, wo er sie haben wollte, und nicht, wo andere ihn unterbrachen. Er
verzichtete auf den starren Blick und den schnarrenden Ton, selbst wenn es
brenzlich wurde.
    Es war keine bequeme Heimreise. Mehrere Male briste es bis zum Sturm
auf, und kurz vor den Azoren hieß es: »Feuer im Achterschiff!« Jedesmal war
John Franklin der wachhabende Offizier.
    Daß es bessere gab als ihn, wußte er längst, denn er beherrschte
seinen Beruf. Das prompte Handeln fehlte eben, und ohne geistesgegenwärtige
Freunde geriet er in Schwierigkeiten. Aber plötzlich hatte er diese Freunde.
    Â»Ãœberprüfen Sie die Vollzähligkeit der Wache, Mr. Warren, Sie können
das schneller!« Midshipman Warren tat, was er schneller konnte, zur
Zufriedenheit. John verließ sich auf andere, und er entschied sorgfältig, auf wen
und bei welcher Gelegenheit.
    Â»Er hat es nicht leichter als vorher«, sagte Kapitän Walker durch
die Zähne, »aber

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