Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
Vom Netzwerk:
Leuchtschirms plattgedrückt — dann hatte man den Eindruck, das Lichtpünktchen nähere sich der Rakete. Beim Rückstoß glitt die Ladung in die Röhre zurück, und wenn sich die Beschleunigung stabilisiert hatte und konstant blieb, kehrte die Wanderladung allmählich wieder zum Schirm zurück. Sie konnte sich dort in alle Richtungen bewegen, aber meistens konzentrierte sie sich direkt im Zentrum - wenn nämlich die Rakete auf fester Umlaufbahn und ohne Schub dahinflog. Und so weiter und so fort — die Untersuchungen zogen sich in die Länge, sechsstufige Modelle veranschaulichten die Dynamik der Ladung. Überdies zeigte sich, daß stärkere Lichtsignale im Bereich der Elektronenröhre die Ladung zerstreuten. Sie konzentrierte sich nur dann, wenn die Intensität der von der Röhre empfangenen Impulse ausnehmend schwach war — so schwach wie eben im kosmischen Vakuum, in großer Entfernung von der Sonne. Es genügte, daß ein einziger Sonnenstrahl über den Leuchtschirm leckte, und die Ladung löste sich auf und verschwand für Stunden.
       Ungefähr so viel stellten die Elektroniker fest — ein stattliches, mit mathematischen Formeln und Modellen gespicktes Buch war das Ergebnis. Darauf machten sich Ärzte und Psychologen, die verschiedensten Koryphäen auf dem Gebiet der Astroneurosen und Astropsychosen ans Werk. Und abermals nach vielen Wochen stellte sich heraus, daß die Wanderladung pulsierte — was man mit dem bloßen Auge als feine dunkle Streifen wahrnahm, die über die kleine Lichtscheibe rutschten. Die dichte Folge der Entladungen wiederum, die zu kurz waren, um einzeln vom Auge registriert zu werden, bildete den sogenannten Teta-Rhythmus der Hirnrinde und schaukelte die Potentialschwankungen der Rinde so lange durcheinander, bis Symptome auftraten, die einem epileptischen Anfall ähnelten. Die absolute äußere Ruhe, das Fehlen jeglicher Reize, die des Lichtes ausgenommen, und das anhaltende, unbewegliche Starren auf den flackernden Lichtpunkt waren die Begleiterscheinungen, die einem derartigen Ausbruch besonders förderlich waren.
       Die Fachleute, die das alles entdeckten, wurden natürlich berühmt. Die Elektroniker der ganzen Welt kennen heute den Ledieux-Harper-Effekt, der auf der Entstehung von Wanderladungen im hohen Kathodenstrahlvakuum beruht, und die Astrobiologen das komplexe ataktischkatatonisch-klonische Nuggelheimer-Syndrom.
       Die Person des Piloten Pirx wurde von der Wissenschaft totgeschwiegen, und nur sehr aufmerksame Zeitungsleser konnten aus den kleingedruckten Meldungen mancher Abendblätter erfahren, daß es ihm zu verdanken war, wenn keinem Piloten mehr das Geschick von Wilmer und Thomas drohte, die die Schubkraft ihrer Raumschiffe bis an die maximale Grenze gesteigert und während ihrer Jagd nach dem »Irrlicht« das Bewußtsein verloren und in den Abgründen des Kosmos den Tod gefunden hatten.
       So also blieb Pirx der Ruhm versagt, aber das kümmerte ihn wenig. Selbst den künstlichen Zahn, den er sich für den alten, mit dem Knie ausgeschlagenen einsetzen ließ, bezahlte er aus der eigenen Tasche.

Der bedingte Reflex

    Einen Schwindelanfall hat es nicht gegeben..., überlegte er. Von Ohnmacht oder Geistestrübung kann genausowenig die Rede sein... Die Tragödie hat andere Ursachen — das Geheimnis ist irgendwo innerhalb oder außerhalb der Station verborgen... Pirx begann, das Innere der Station zu untersuchen. Nicht daß er Spuren suchte - er studierte die Einrichtung, und er brauchte sich nicht zu beeilen, denn er hatte genug Zeit. Zunächst sah er sich die Druckkammer an. Die Kreidemarkierung zu Füßen der kleinen Leiter war noch immer zu erkennen. Er begann mit der Innentür. Bei offener Klappe ließ sie sich nicht öffnen, und dadurch waren Unfälle ausgeschlossen. Zwar ging die Tür nach innen auf, und der in der Station herrschende Druck hätte sie mit einer Kraft von fast achtzehn Tonnen zugeschlagen, aber dieser Umstand allein bot keine absolute Sicherheit. Zwischen Tür und Rahmen konnte sich eine Hand oder irgendein harter Gegenstand befinden — ein Werkzeug zum Beispiel —, und das würde zu einer explosiven Flucht der Luft ins Vakuum führen. Die Sache mit der Klappe war insofern komplizierter, als ihr Zustand durch ein zentrales Verteilergerät, das in der Funkstation untergebracht war, signalisiert wurde. Beim Öffnen der Klappe flammte ein rotes Lämpchen auf, und gleichzeitig schaltete sich das grüne Signal ein. Bei diesem Signal

Weitere Kostenlose Bücher