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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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Systeme registrierten seine erneute Gegenwart. Langner hatte den Schacht verlassen und kehrte zurück. Das Alarmzeichen leuchtete noch immer, man mußte es ausschalten. Tat man das nicht, so besorgte das nach zwei Stunden der Zeitausschalter — die Apparatur sollte nicht zuviel Strom verbrauchen, denn in der Nacht schöpften sie nur aus den Akkus. Am Tage lud die Sonne die Akkus auf.
       Pirx stellte fest, daß die Apparatur nicht sonderlich kompliziert arbeitete. Langner mischte sich in diese Experimente nicht ein. Er glaubte den Protokollen. So oder ähnlich müsse sich das Unglück abgespielt haben, sagte er. Außerdem war er der Meinung, daß sich Unfälle nicht vermeiden ließen.
       »Die Klischees?« erwiderte er auf Pirx' Einwurf. »Die Klischees haben gar keine Bedeutung. Wenn man zerstreut ist, passieren einem noch ganz andere Sachen. Die Logik verläßt uns viel früher als das Leben, und dann beginnt jeder sinnlos zu handeln.« Pirx verzichtete auf eine weitere Diskussion.
       Die zweite Woche der Mondnacht neigte sich ihrem Ende zu. Nach allen Untersuchungen wußte Pirx genausoviel wie zuvor. Soll der tragische Unfall tatsächlich für immer unaufgeklärt bleiben? fragte er sich. Vielleicht gehörte er zu den Ereignissen, die in Millionen von Fällen eben einmal vorkommen und die sich nicht rekonstruieren lassen ... Nach und nach ging er dazu über, Langner ein wenig zu helfen. Etwas mußte er ja schließlich tun, um die langen Stunden auszufüllen. Er Lemte den Astrographen bedienen. Es ist also doch nur ein gewöhnliches Ferienpraktikum, sagte er sich. Er übernahm es, zum Schacht zu gehen, in dem die Klischees belichtet wurden, das heißt, er wechselte sich mit Langner ab.
    Das Morgengrauen nahte, das Pirx ungeduldig erwartete. Er gierte förmlich nach Neuigkeiten aus aller Welt und drehte am Radio herum, aber das einzige, was er dem Empfänger entlockte, waren knackende und pfeifende Geräusche — ein Spektakel, der den nahen Sonnenaufgang ankündigte. Nach dem Frühstück war es Zeit, die Platten zu entwickeln. Mit einer beschäftigte sich Langner besonders intensiv, er hatte die wunderbar klare Spur eines Mesonenzerfalls entdeckt. Begeistert rief er Pirx ans Mikroskop, aber der zeigte sich für die Reize von Kernveränderungen nicht empfänglich. Dann nahmen sie das Mittagessen ein, und danach hielten sie sich am Astrographen auf und beobachteten den Sternenhimmel. Die Zeit zum Abendbrot rückte näher. Langner machte sich bereits in der Küche zu schaffen, als Pirx im Vorübergehen den Kopf durch den Türspalt steckte und seinem Gefährten sagte, daß er hinausgehen wolle. Langner studierte gerade ein kompliziertes Rezept auf der Schachtel mit Eierkuchenpulver. Er brummte Pirx nur zu, er solle sich beeilen, die Omeletten wären in zehn Minuten fertig.
       Pirx war bereits im Skaphander, er hielt das Päckchen mit den Klischees in der Hand und überprüfte, ob die Klemmen den Helm gut an den Kragenansatz drückten. Er öffnete beide Türen — die zur Küche und die zur Funkstation — und betrat die Kammer. Er schlug die hermetische Tür hinter sich zu, kroch nach oben, öffnete die Klappe — verschloß sie jedoch nicht, weil er rasch zurückkehren wollte. Pirx sah nichts Gefährliches in seinem Verhalten, denn Langner hatte ja nicht vor, ebenfalls hinauszugehen.
       Die Finsternis des Alls umfing ihn. Die irdische kommt ihr nicht nahe, denn die Atmosphäre leuchtet immer mit der schwach erregten Strahlung des Sauerstoffs. Pirx sah auf, er erblickte die Sternbilder, deren Muster an einigen Stellen unterbrochen war. Nur daran erkannte er die hoch aufragenden Felsen. Er stellte den Stirnreflektor an, dessen Lichtschein auf dem Boden tanzte, und erreichte den Schacht. Er setzte die Beine in den schweren Stiefeln über den Rand — an die geringe Schwere auf dem Mond gewöhnt man sich leicht; schwieriger ist es, sich nach der Rückkehr auf die Erde an Lasten zu gewöhnen —, ertastete blindlings die erste Sprosse, kroch hinunter und ging daran, die Klischees auszuwechseln. Als er sich niederkauerte und über den Ständer beugte, begann das Licht seines Reflektors zu flimmern und verlosch. Er bewegte sich, schlug mit der Hand gegen den Helm — das Licht flammte wieder auf. Die Glühbirne war also heil, nur der Kontakt war defekt. Er begann die belichteten Platten einzusammeln. Der Schein des Reflektors huschte ein paarmal über sie hinweg und verlosch ein zweites Mal. Pirx hockte

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