Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
Vom Netzwerk:
ein paar Sekunden in absoluter Dunkelheit, er wußte nicht, was er tun sollte. Der Rückweg war kein Problem — er kannte ihn auswendig. Außerdem brannten auf dem Gipfel der Station zwei Lichter, ein grünes und ein blaues. Aber es konnte passieren, daß er die Klischees zerschlug. Noch einmal stieß er mit der Faust gegen den Helm — der Reflektor flammte auf. Rasch notierte er die Temperatur, steckte die belichteten Klischees in die Kassetten — aber als er die Kassetten ins Futteral steckte, verlosch der Reflektor zum drittenmal. Pirx legte die Klischees beiseite und schlug ein paarmal hintereinander auf den Helm. Wenn er stand, brannte das Licht, aber sobald er sich bückte, verlosch es. Eine Weile war er gezwungen, in einer völlig unnatürlichen Haltung zu arbeiten, und schließlich brannte das Licht überhaupt nicht mehr, es halfen auch keine Schläge. Solange er die Klischees nicht eingesammelt hatte, konnte er nicht zur Station zurückkehren. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die tiefste Sprosse, schraubte den äußeren Deckel des Reflektors ab, drückte den Quecksilberbrenner tiefer in die Fassung und drehte den Deckel wieder fest. Licht hatte er nun, aber der Zufall wollte es, daß das
    Gewinde sich immer wieder lockerte. Er versuchte es auf verschiedene Weise, hatte jedoch keinen Erfolg. Voller Ungeduld steckte er den Deckel mit dem äußeren Glas des Reflektors in die Tasche, las rasch die Klischees auf, ersetzte sie durch neue und kletterte nach oben.
       Als er etwa einen halben Meter von der Öffnung des Schachtes entfernt war, glaubte er einen zweiten Schein zu sehen, der sich in das weiße Licht seines Reflektors mischte. Das Ganze dauerte nur einen Augenblick. Pirx schaute auf, aber durch die Schachtöffnung waren nur Sterne zu sehen.
       Ach was, eine Täuschung! dachte er.
       Er kroch aus dem Schacht, aber eine unklare Unruhe erfaßte ihn. Er ging nicht, er lief. Er lief in langen Sätzen, obwohl diese Mondsprünge entgegen allem, was man darüber hört, durchaus nicht den Lauf beschleunigen: Die Sprünge sind weit, aber dafür schwebt man und bewegt sich viel langsamer als auf der Erde. Als Pirx die Station erreichte und schon die Hand auf das Geländer legte, erblickte er den seltsamen Lichtschein zum zweitenmal. Es war, als habe jemand eine Leuchtkugel in südlicher Richtung abgeschossen. Die Leuchtkugel selbst sah er nicht — die Station war im Wege —, er sah lediglich einen gespenstischen Widerschein, der die Felsabhänge erhellte. Sie tauchten aus der Schwärze auf und verschwanden wieder. Wie ein Affe kletterte er blitzschnell auf den Gipfel der Kuppel. Er hätte gern eine Leuchtkugel abgeschossen, aber er hatte keine Pistole bei sich. Er schaltete seinen Empfänger ein, hörte aber nur knackende Geräusche. Die Klappe war offen — Langner war also drinnen.
       Ich Idiot! sagte er sich plötzlich. Das wird natürlich keine Leuchtkugel gewesen sein, sondern ein Meteor! Meteore kann man zwar nicht sehen, denn der Mond hat keine Atmosphäre, aber sie leuchten auf, wenn sie mit kosmischer Geschwindigkeit in die Felsen einschlagen. Er sprang zur Kammer, verschloß von innen die Klappe. Das Einlassen der Luft nahm einige Zeit in Anspruch. Die Zeiger kletterten, bis der richtige Druck herrschte: 0,8 kg pro Quadratzentimeter. Dann öffnete er die Tür und stürzte in den Korridor. Im Laufen nahm er den Helm ab. »Langner!«
       Schweigen... Pirx, immer noch im Skaphander, rannte in die Küche — sie war leer. Auf dem Tisch die Teller für das Abendbrot, im Tiegel Eierkuchenteig, die Pfanne neben der eingeschalteten Flamme...
       »Langner!« brüllte er und warf die Klischees auf den Tisch. Er eilte zur Funkstation — sie war ebenfalls leer. Eine innere Stimme sagte ihm, daß es keinen Sinn habe, im Observatorium nachzusehen. Langner war draußen, und der Lichtschein stammte tatsächlich von Leuchtkugeln! Er hatte geschossen! Aber weshalb war er hinausgegangen?
       Plötzlich erblickte er ihn. Der »Schmetterling« bewegte sich — sein Gefährte atmete, lebte. Der Radarstrahl erfaßte einen kleinen, scharfen Schein — im untersten Teil des Schirms! Langner ging zum Abgrund...
       »Langner! Halt! Halt, hörst du? Halt!« schrie er ins Mikrofon, ohne den Blick vom Schirm zu wenden.
       Der Lautsprecher krächzte. Störungsgeräusche. Die grünlichen Flügel fächelten nicht mehr gleichmäßig wie bei einem normalen Atemvorgang — sie bewegten sich

Weitere Kostenlose Bücher