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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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langsam, unsicher. Manchmal erstarben sie eine Weile, als ob Langners Apparat aufgehört habe zu arbeiten. Der scharfe Schein im Radar war bereits weit entfernt. Auf dem Koordinatennetz tauchte er ganz unten auf — das bedeutete, daß er anderthalb Kilometer in gerader Linie entfernt war, also bereits irgendwo zwischen den hoch aufragenden senkrechten Platten unter dem Sonnentor. Er bewegte sich nicht, er erschien bei jeder Drehung des Leitstrahls an der gleichen Stelle. War er gestürzt? War er bewußtlos?
    Pirx rannte in die Druckkammer. Er war schon an der hermetischen Tür, da fiel ihm ein, daß er in der Küche etwas gesehen hatte, etwas Schwarzes auf dem weißgedeckten Tisch: die Fotoplatten, die er mitgebracht und achtlos hingeworfen hatte... Betroffen stand er in der Kammer. Er hielt den Helm in der Hand und rührte sich nicht vom Fleck.
       Genau wie damals... Genau so! dachte er. Langner bereitet das Abendbrot und geht plötzlich hinaus... Ich gehe ihm nach, und wir kehren beide nicht zurück. Die Klappe bleibt offen. In wenigen Stunden beginnt die ZiolkowskiStation, uns zu rufen. Niemand wird antworten...
       Etwas schrie in ihm: Idiot, geh! Worauf wartest du? Er liegt dort! Vielleicht hat ihn eine Lawine erfaßt! Hier drinnen kann man ja nichts hören... Er lebt noch — er ist gestürzt, er kann sich nicht bewegen, aber er lebt, er atmet...
       Er stand da, ohne sich zu rühren. Plötzlich kehrte er um, stürzte in die Funkstation, sah sich die Zeiger genauer an. Alles war unverändert. Die »Flügel« des »Schmetterlings« bewegten sich nur noch im Abstand von vier bis fünf Sekunden — zitternd, unsicher, zögernd. Der Schein auf dem Radarschirm glomm am Rande des Abgrunds...
       Pirx überprüfte den Neigungswinkel der Antenne. Er war minimal. Sie erfaßte nicht mehr die nähere Umgebung der Station — sie sendete Impulse im maximalen Bereich.
       Er hielt sein Gesicht dichter an den Atmungszeiger und erblickte etwas Merkwürdiges. Der grüne »Schmetterling« bewegte nicht nur die »Flügel«, sondern er zitterte ganz regelmäßig. Er schien nicht nur auf den Atemrhythmus von Langner, sondern auch auf einen zweiten, bedeutend rascheren, zu reagieren. Agonales Zittern? Konvulsionen? Langner lag im Sterben, und er, Pirx, starrte gierig auf die Bewegungen des Auges und verfolgte den doppelten Rhythmus der »Flügel«. Unversehens — er wußte selbst nicht, warum — ergriff er das Antennenkabel und riß es aus dem Kontakt. Und es geschah etwas Verblüffendes: Der »Schmetterling«, isoliert von den äußeren Impulsen, fächelte weiter, anstatt zu erstarren...
       Völlig verblüfft, stürzte er zum Schaltpult und vergrößerte den Neigungswinkel der Antenne: Der ferne Schein, der unter dem Sonnentor verharrte, begann zum Rand des Schirms zu wandern. Das Radar erfaßte immer näher gelegene Sektoren der Umgebung, bis plötzlich ein zweiter Schein sichtbar wurde — er war weit größer und stärker. Ein zweiter Skaphander!
       Ein Mensch. Ein Mensch, der sich bewegte. Langsam, regelmäßig stieg er hinab, er umging alle Hindernisse, denn er wich mal nach links, mal nach rechts aus und strebte geradewegs dem Sonnentor zu, dem zweiten, fernen Funken entgegen...
       Pirx starrte sich fast die Augen aus dem Kopf. Es waren tatsächlich zwei Funken, ein naher, der sich bewegte, und ein ferner, der sich nicht rührte. Zwei Mann waren auf der Station — Langner und er. Der Apparat hingegen sah einen dritten. Er log also.
       In kürzester Zeit, als nötig war, um alles zu durchdenken, war er in der Kammer. Eine Minute später stand er mit der Leuchtpistole auf dem Dach der Kuppel und schoß Signalraketen ab. Er zielte senkrecht nach unten, immer in dieselbe Richtung — zum Sonnentor. Er schaffte es kaum, die heißen Patronenhülsen auszuwerfen. Der schwere Kolben der Leuchtpistole hüpfte in seiner Hand. Man hörte keinen Knall. Wenn er den Abzug betätigte, gab es einen leichten Rückstoß; die Feuerstreifen glühten auf, giftgrün und purpurn. Sie zerplatzten in rote Tropfen, in Saphirsterne ... Pirx schoß wahllos, er achtete nicht auf die Farben der Patronen. Endlich kam Antwort. Ein orangefarbener Stern stieg aus der unendlichen Finsternis, er explodierte hoch über der Station und erhellte die Umgebung. Wie zur Belohnung regnete es bunte Straußenfedern auf Pirx herab. Ein zweiter Schuß folgte, ein Regen aus Safrangold...
       Pirx schoß, und Langner antwortete. Das

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