Die Entdeckung des Himmels
größer als ihr Mann, mit weißem Haar und einem geraden Rücken. Ein Chauffeur zog die Mütze und öffnete den Wagenschlag eines ankommenden Fahrzeugs, dem unverkennbar ein weiterer Quist mit Frau entstieg und sich zur Familie gesellte: Onnos ältester Bruder Diederic, der Kommissar der Königin. Und da waren auch Adas Eltern: etwas verloren standen sie neben der Quist-Gruppe. Die Gruppe daneben, aber in einigem Abstand, war offenbar die Gideonsbande der Neuen Linken: kichernde Männer, fast alle so alt wie Max, die angesichts der realen Gegenwart einer Ikone der alten Niederlande – jener Niederlande, die sie abschaffen wollten – leicht eingeschüchtert wirkten.
Max zögerte. Zu wem sollte er sich stellen? Adas Eltern war er ein einziges Mal begegnet, sonst kannte er niemanden – während zugleich niemand eine intimere Beziehung zum Brautpaar hatte als er. Langsam schlenderte er in ihre Richtung, und als er im Vorbeigehen etwas von einer »zypriotischen Silbenreihe« aufschnappte, begriff er, daß es noch eine dritte Gruppe gab: Onnos sprachwissenschaftliche Kollegen. Und eine vierte, plötzlich sah er Bruno, und dann auch Marijke: dort standen die Musiker. Er begrüßte Bruno, den er seit ihrem Abschied am Flughafen von Havanna nicht mehr gesehen hatte.
»Denkst du manchmal noch an Kuba?« fragte Bruno mit unbeweglicher Miene.
»Täglich.«
»Ich hatte gehofft, daß Ada genug von Onno bekommen und ich hier heute der Bräutigam sein würde. Jetzt bin ich Trauzeuge.«
»Ich bin nicht einmal das«, sagte Max und dachte: Nicht auszudenken, wenn sie auch noch mit dem ins Bett gegangen wäre.
»Ein schwarzer Tag für uns!«
Kurz darauf kam Onno durch das Tor: auf dem Fahrrad, Ada auf dem Gepäckträger. Wie ein Zirkusartist, der von einem drei Meter hohen Einrad springt, stieg er unter Applaus vom Sattel und dankte mit einer Verbeugung für den Beifall.
»Verzeihung, daß wir uns verspätet haben, aber wir mußten erst noch die Brautausstattung kaufen. Sieht sie nicht umwerfend aus, meine Künftige?«
Ada trug ein einfaches schwarzes Kleid und darüber eine Jacke aus Goldlamé, die zwar nicht ganz einwandfrei saß, ihr aber trotzdem etwas von einem kostbaren Juwel verlieh. Onno sah, abgesehen von der roten Krawatte, aus wie immer; nach Max’ Dafürhalten hatte er sich nicht einmal die Haare gewaschen.
»Darf ich?« fragte Marijke, nahm Adas Unterarm und biß mit den Zähnen das Preisschild vom Ärmel.
Nachdem Onno sein Fahrrad abgeschlossen hatte, rief er:
»Ich werde euch gleich vorstellen, aber jetzt müssen wir erst mal wie der Blitz den Bund fürs Leben schließen!«
Der dunkle holzgetäfelte Trausaal war fast zu klein für die Gesellschaft. Max stand hinten und sah von Ada und Onno nur wenig. Ada hatte Bruno und ihren Vater als Trauzeugen, Onno eine Frau, die vermutlich seine jüngste Schwester war, und einen seiner politischen Freunde. Ein Parteigenosse, Beigeordneter in der Stadtverwaltung, trat als Standesbeamter auf. Er gab bekannt, daß er auf Bitten des Bräutigams nicht den üblichen Text vorlesen werde, sondern den der Bataafse Republiek, der seit 1806 nicht mehr verwendet worden sei. Er nahm ein braunes Pergament vom Tisch, sah über seine Halbmondbrille kurz zum konterrevolutionären Übervater in der ersten Reihe, und las:
»Formular, wie es bei Trauungen im Gemeindehaus zu Amsterdam seit der denkwürdigen Revolution des 19. Januar 1795 in Gebrauch ist. Bräutigam und Braut! Da wir voraussetzen,
daß Ihr keine unbedachte Wahl getroffen, mit ehrlichen Absichten Euch vereiniget, und über diese Vereinigung den Segen von Ihm, dem Ihr alles verschuldigt seid, erbeten habt, bereiten auch wir keine Schwierigkeiten, Eurem billigen Begehren zu entsprechen, indem wir das Siegel des Gesetzes auf Eure gegenseitig erklärte Liebe und das geleistete Versprechen der Treue drücken. Vorher jedoch werden wir Euch kurz an Eure Pflichten gemahnen.«
Im Saal entstand Heiterkeit. Die sozialdemokratischen Rebellen versuchten, in Quists Gesicht zu lesen, doch es blieb regungslos wie ein Stein; auch der Kommissar der Königin, der Generalstaatsanwalt und der Dozent für Strafrecht, die sie von Pressebildern her kannten, verzogen keine Miene. Nachdem sie der Beamte auf patriotische Weise zu Fleiß, Aufrichtigkeit, gutem Benehmen, Bescheidenheit, Gehorsamkeit und Sparsamkeit angehalten und vor verderblicher Nachgiebigkeit gegen die Kinder gewarnt hatte, fragte er:
»Nimmst Du, Bräutigam!
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