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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Treffen verlaufen war, wie er schließlich in den Staub gesunken sei und sich erniedrigt habe, worauf er unverzüglich mit einer Fürbitte bei Gott belohnt worden sei.
    »Was ist das bloß für eine ehrlose Sklavenreligion! Wie hat dieser schäbige Kerl aus Nazareth bloß diesen stolzen Jupiter besiegen können?«
    »Aber diese ehrlosen Christen haben dir immerhin angeboten, dein Kind aufzunehmen.«
    »Meinst du, daß das bei den heidnischen Römern nicht passiert wäre? Das hat nichts mit Religion zu tun, das ist die Sippe. Davon hast du keine Ahnung, denn du hast keine, aber es passiert sogar im Tierreich. Das ist das Blut.«
    »Nein, ich habe keine Verwandten«, sagte Max und sah ihn an. »Ich habe also insofern Ahnung davon, als ich irgendwann selbst von Christen aufgenommen worden bin, obwohl ich nicht von ihrem Stamm war.«
    Während er das sagte, wurde ihm klar, daß das für Adas Kind vielleicht auch wieder gelten würde, wenn es nicht von Onnos Stamm wäre. Onno erwiderte seinen Blick; er wußte, daß er einen Schnitzer gemacht hatte.
    »Gut«, sagte er mit einer generösen Geste, »einigen wir uns darauf, daß es uneigennützige Menschenliebe tatsächlich gibt.
    Als ich heute morgen aufwachte, wußte ich mir trotzdem noch keinen Rat. Wie soll ich mich um Himmels willen entscheiden? Die eine Option ist schlechter als die andere, und die andere schlechter als die eine. Nach Meinung beschränkter Geister ist das zwar logisch unmöglich, aber dieses Unmögliche ist hier der Fall.«
    »Warum sagst du dann nicht, daß die eine besser ist als die andere, und die andere besser als die eine?«
    »Ganz einfach: weil keine von beiden gut ist. Zumindest nicht gut genug. Zum Beispiel Jan-Kees und seine Paula. Sie wohnen in Rotterdam in einem riesigen Haus, und ich kann jeden Mittwochnachmittag hinfahren, um mein Kind abzuholen, und mit ihm in den Zoo gehen. Irgendwie kann ich sie gut leiden, aber es ist nicht mein Stil, und auch nicht Adas Stil; ich möchte nicht, daß unser Kind dort aufwächst. Hans und Hadewych sind in dieser Hinsicht besser, werden aber demnächst von Dänemark nach Sambia versetzt, und dann von Sambia nach Brasilien, und dann von Brasilien auf die Philippinen; unser Kind wird von einer internationalen Schule in die andere geschleppt und muß alle vier Jahre von seinen Freunden Abschied nehmen. Andererseits würde es natürlich etwas von der Welt sehen und eine Menge Sprachen lernen, aber ich würde unwiderruflich ein Fremder für es werden: eine Art Onkel im fernen Holland. Nur während der Sommerferien wäre es dann mal ein paar Wochen hier – und der Gedanke behagt mir gar nicht. Wenn Jan-Kees im diplomatischen Dienst wäre und Hans und Hadewych in Kralingen wohnten, ja, dann wüßte ich, wie ich mich zu entscheiden hätte, aber so wohlwollend scheint das Leben nicht zu sein. Also, wie soll das jetzt weitergehen? Was würdest du an meiner Stelle tun?«
    Er setzte sich, und Max stand auf. Mit den Händen in den Taschen stellte er sich vor das Fenster und sah in den dunklen Abend hinaus, ohne etwas zu sehen. Er wußte, sein Hinterkopf und sein Rücken sandten die Botschaft aus, daß er ruhig überlegte, aber sein Herz klopfte laut, und er fühlte sich innerlich zerrissen. Was würde er an Onnos Stelle tun? Vielleicht war er an Onnos Stelle – das heißt, daß auch Onno selbst nicht wußte, an wessen Stelle er vielleicht war. Wie lange sollte das noch so weitergehen? War es nicht an der Zeit, diesen Knoten aus Liebe und Betrug radikal durchzuhauen? Sollte er sich jetzt nicht umdrehen, jetzt, in diesem Augenblick, und endlich sagen: »Onno, das Kind, das Ada erwartet, ist vielleicht von mir.« – Sollte er nicht endlich das sagen, was er ihm hatte schreiben wollen und auch geschrieben, dann aber nicht abgeschickt hatte? Die Überlegung, daß er das nicht ohne Adas Wissen tun konnte, hatte nun keine Gültigkeit mehr, es geschah nichts mehr ohne Adas Wissen, weil alles ohne ihr Wissen geschah. Aber er brachte es jetzt nicht mehr übers Herz, er hatte es zu weit kommen lassen. Dennoch konnte er nicht einfach weiter abwarten und darauf vertrauen, daß sich alles von allein regeln würde. Es mußte etwas geschehen!
    Plötzlich sah er sein Spiegelbild im dunklen Glas. Er rückte seine Krawatte zurecht und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, und er mußte an den Abend denken, an dem er mit Onno ins Theater gegangen war, in König Ödipus ; während sie im Foyer in der Pause eine Tasse dünnen Kaffee

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