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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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bekommen würde, womit die Sache erledigt wäre, anschließend würde man sich noch ein wenig über das Wetter unterhalten, noch eine Tasse Tee von Coba geben lassen und sich dann auf den Heimweg machen.
    »Wir«, sagte Dol, »haben keine Kinder, und wir täten nichts lieber, als deines aufzunehmen, Onno. Ich bin jetzt fast vierzig, also wäre das noch möglich. Aber wir haben uns sehr lange darüber unterhalten und glauben, daß es doch besser wäre, wenn es jüngere Pflegeeltern bekäme. Nicht wahr, Karel?«
    Der Chirurg legte die Spitzen seiner gespreizten Finger zusammen, nahm sie kurz auseinander und ließ sie wieder in ihre ursprüngliche Stellung zurückkehren. Diese Geste ließ ihn noch mehr wie Baron Frankenstein aussehen.
    »Am besten wäre es natürlich, wenn es in einer Familie mit anderen kleinen Kindern aufgezogen würde.«
    Onno nickte und sah zu Sophia.
    »Erscheint mir korrekt.«
    »Es sollte dahin kommen«, sagte Sophia, »wo es die besten Möglichkeiten hat, sich zu entfalten.«
    Das klang ziemlich selbstverständlich, aber Onno hörte auch ein fernes Echo des salomonischen Urteils: »Teilt das lebendige Kind in zwei Teile und gebt dieser die Hälfte und jener die Hälfte.« Er sah zu den beiden Duos Hans und Hadewych und Paula und Jan-Kees, doch zuerst ergriff Margo das Wort, die Frau seines hochgelehrten Bruders Menno, der verhindert war, weil er vor einer Studentenversammlung Rechenschaftablegen mußte. Wie immer waren ihre Augenlider geschwollen und gerötet, als hätte sie geweint, obwohl sie eher jemand war, der gerne lachte.
    »Unsere Kinder gehen schon in die höhere Schule, und ich mag ehrlich gesagt gar nicht daran denken, daß ich wieder Windeln waschen soll. Soweit ich Onno kenne, würde er auch nicht wollen, daß sein Kind in Groningen aufwächst.
    Stimmt’s? Für dich ist das die tiefste Provinz, es wäre auch zu weit weg für dich.«
    »Keiner muß sich hier entschuldigen, für was auch immer«, sagte Onno. »Ich bitte keinen um etwas.«
    »Gut«, sagte Jan-Kees. »Dann bieten wir es dir an.« Er legte seine Zigarre in den Aschenbecher, streckte die Beine aus, legte die Füße übereinander und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Ich habe schon einen Stall voll, also bringen wir deines auch noch unter. Wir haben eine Bude in der Nähe von Rotterdam, einen nicht häßlichen Garten, denn ich habe eine Umschlagsfirma, mit der ich eine Menge Kohle verdiene. Ich bin zwar rechts, aber ich sorge gut für meine Arbeiter, und wer damit nicht einverstanden ist, der wird gefeuert.
    Wir werden dein Kind ganz in deinem Geiste erziehen, was du mir ruhig zutrauen kannst, denn bevor ich zur feinen Gesellschaft gehörte, war ich auch Sozialist. Und es kostet dich keinen Pfennig. Na? Ist das ein Geschäft oder nicht? Jetzt bist du dran.«
    Geschäfte auf Rotterdamer Art. Es entstand ein etwas geniertes Schweigen, aber Onno gefiel Jan-Kees’ Direktheit.
    Er provozierte natürlich, vielleicht aus Verlegenheit, und er spielte, was er tatsächlich war, aber da er es spielte, war er es zugleich auch wieder nicht.
    »Du gehst die Sache wieder furchtbar taktvoll an«, sagte Paula und lächelte entschuldigend zu Onno.
    »Ja, findest du das nicht?«
    »Doch«, sagte Coen, sein Schwiegervater.
    »Aber wir meinen es wirklich ernst, Onkel Onno. Wir würden es gerne machen.«
    Daß sein Kind in einer stockkonservativen Umgebung aufwachsen würde, war für Onno kein Problem, auch viele seiner progressiven Freunde stammten aus mehr oder weniger wohlhabenden Kreisen. Aber er war ein ziemlich ordinärer, neureicher Geldscheffler, dieser Jan-Kees, ohne jegliches kulturelles Interesse, außerdem hatte er etwas unverkennbar Tierisches, mit seinen spitzen Zähnen und dem dunklen Bart, der bei ihm schon wieder üppig hervorsproß. Seine Paula hingegen machte einen anmutigen, wehrlosen Eindruck, wie sie so dasaß mit ihrem dicken Bauch in dem schwarzen, goldbestickten afghanischen Sackkleid, das bis zum Boden reichte.
    Sie hatte wenig Ähnlichkeit mit ihrer furchterregenden Mutter Trees, aber zu Hause hatte vermutlich sie die Hosen an, offenbar mußte etwas von einem Dompteur in ihrem Wesen liegen.
    »Auch wir wollen dir gerne helfen«, sagte Hadewych.
    Das zweite Angebot war da.
    »Bitte nicht drängeln!« lachte Margo, während sie ihr Plätzchen in den Tee tunkte. Sofort schlug sie die Hand vor den Mund und sah erschrocken in die Runde. »Verzeihung«, sagte sie.
    Vielleicht war Hadewych auf metaphysische Weise

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