Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
Vom Netzwerk:
tranken, hatte Onno gefragt: »Schaust du etwa ständig in diesen Spiegel, du eitler Gockel?«, worauf er geantwortet hatte: »Ja, ich schaue immer in alle Spiegel: um sie zu eichen.«
    Er drehte sich um, steckte die Hände wieder in die Taschen und setzte sich auf die Fensterbank.
    »Du könntest eine Haushälterin einstellen, Fulltime, Tag und Nacht.«
    »Ich soll mein Kind von einer Haushälterin erziehen lassen?
    Um zwanzig Jahre lang auch noch eine unglückliche Frau am Hals zu haben, die jeden Abend in der Küche heult? Ich denke gar nicht daran. Und was meinst du wohl, was das kostet? Wie du weißt, widme ich mich infolge meines edelmütigen Charakters ausschließlich der Wissenschaft und der Res publica und verdiene folglich so gut wie nichts; ich lebe von einem kleinen Vorschuß aus meinem Erbteil. Gut, dafür könnte man noch eine Lösung finden, ich könnte zum Beispiel arbeiten gehen, obwohl mich die Vorstellung abstößt, Studenten im sechsten Semester das Abc beizubringen. Jedenfalls würde ich jederzeit eine Stelle an irgendeiner Universität bekommen, vielleicht sogar in den Niederlanden.«
    »Es braucht doch nicht länger als für fünf oder sechs Jahre zu sein? Danach könnte das Kind dann in ein gutes Internat gehen.«
    »Ein gutes Internat! Soll mein Kind wirklich mit sechs Jahren von der Sicherheit in die Unsicherheit hineingestoßen werden, damit es für den Rest seines Lebens unsicher ist? Auf die feine englische Art? Ist das tatsächlich das, was du an meiner Stelle tun würdest?«
    Max rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht.
    »Nein«, sagte er.

    »Natürlich«, sagte Sophia, als Max sie am nächsten Tag anrief und fragte, ob es ihr recht wäre, wenn er nach dem Abendessen noch auf eine Tasse Kaffee vorbeikäme. »Du kannst auch hier essen, wenn du möchtest.«
    Das war neu.
    »Sind Sie sicher, daß ich Ihnen keine Ungelegenheiten mache?« Als er sich das sagen hörte, hatte er das Gefühl, es jetzt zu bunt zu treiben, aber das war offenbar nicht der Fall.
    »Du weißt doch, wie das ist. Wenn Essen für einen da ist, reicht es auch für zwei, und wenn es Essen für zwei gibt, reicht es auch für drei.«
    »Das stimmt. Wenn es Essen für hundert gibt, reicht es auch für hundertundzehn. Es ist schwer zu begreifen, daß es noch Hunger gibt auf der Welt.«
    Er brachte eine Flasche Chianti mit, und als sie sich am Küchentisch gegenübersaßen, machten sie sich sofort über ihre Rinderfilets her. Während sie vom Haager Familienrat erzählte, spürte er wieder die Erregung, die diese Situation jedesmal aufs neue bei ihm auslöste: eine Audienz bei der unnahbaren Mutter Oberin, der Braut Christi, die sich im Dunkeln gleich wieder in eine wollüstige, Schreie ausstoßende Circe verwandeln würde. Er hatte sich oft gefragt, wie diese Verwandlung vor sich ging. Er versuchte sich auszumalen, was in ihr vorging: sie legte ihre Kleider über den Stuhl, wusch sich, legte sich ins Bett und knipste das Licht aus. War das der Moment? Verwandelte die einfallende Dunkelheit sie vom einen in das andere? Oder gab es gar keinen Moment des Übergangs, war es lediglich ein maliziöses Spiel, dessen Wirkung sie irgendwann, bei einer bestimmten Art von Männern wie Brons und ihm, entdeckt hatte? Aber was hatte er mit Brons gemein? Vielleicht die Empfänglichkeit für dieses Spiel? Dann mußte es auch noch ein paar andere Gemeinsamkeiten geben, und genau die gab es nicht. Natürlich war es mit Brons nicht so gewesen, so war es nur mit ihm, Max, und ein Spiel war es auch nicht. Er war davon überzeugt, daß ihr Nachtleben für sie tagsüber tatsächlich nicht existierte, man erinnerte sich tagsüber ja auch nicht an seine Träume. Er war ihr Traum, und das mußte er auch bleiben. Wenn er tagsüber zu ihr sagen würde, daß sie wieder einmal eine aufregende Nacht gehabt hätten, würde sie vielleicht wirklich nicht wissen, wovon er sprach, und ihn hinauswerfen. Sie mit ihm im Bett – was fiel ihm eigentlich ein! Das sollte er doch wohl lieber mit einer Hure ausleben!
    Nickend hörte er ihr zu, wischte sich den Mund ab, nahm einen Schluck Wein und sah von ihrem sich bewegenden Mund zu ihren Augen und von den Augen wieder zum Mund. Da er den Stand der Dinge bereits von Onno gehört hatte, achtete er mehr auf das Timbre ihrer Stimme als auf das, was sie sagte; zum ersten Mal hörte er fast so etwas wie einen Schluchzer heraus, einen verzweifelten Unterton, der vielleicht gar nichts mit Gefühl zu tun hatte,

Weitere Kostenlose Bücher