Die Entdeckung des Himmels
operiert.
Unbehaglich saßen sie nebeneinander, Sophia in der Mitte, die große Reisetasche vor den Füßen.
»Was schleppen Sie da eigentlich mit sich herum?« fragte Onno.
Ohne ein Wort öffnete sie den Reißverschluß und holte mit der einen Hand ein winziges weißes Hemdchen zum Vorschein und mit der anderen ein Paar winzige Söckchen.
»Im Brutkasten wird das zwar noch nicht gebraucht, aber wenn alles gutgeht, lege ich die Sachen nachher schon einmal in Adas Schrank. Das hätte sie selbst auch getan.«
»Sie sind phantastisch«, sagte Onno, faltete das Hemdchen auseinander und betrachtete es wie ein Biologe eine neu entdeckte Tierart. »Daß Sie daran gedacht haben!«
Max mußte beim Anblick der winzigen Garderobe an den Schatten denken, den in Kriminalfilmen der nahende Täter warf, von dem sonst nur die Füße in glänzend polierten Schuhen gezeigt wurden.
»Da schau her – les Boys !«
Auf der Schwelle stand der Journalist, den Onno vor gut einem Jahr nach einem Angriff auf seinen Freund Max im Café über den Tisch gezogen hatte.
»Das darf ja wohl nicht wahr sein«, sagte Onno. »Was machst du denn hier?«
»Ich tue meine Arbeit. Ich muß einen Artikel schreiben über das, was hier gerade passiert.«
»Woher weißt du, was hier gerade passiert?«
Der Journalist zuckte mit den Achseln. »Woher nimmt eine Zeitung ihre Informationen?«
»Hau ab, ich habe nicht das geringste Bedürfnis an Publizität. Ihr seid natürlich von dem einen oder anderen Krankenpfleger angerufen worden, der sich ein paar Gulden dazuverdienen wollte.«
»Das darfst du mich nicht fragen, Onno, ich wäre jetzt auch lieber in der Kneipe.«
»Ich heiße für dich nicht Onno.«
»Schon gut, Doktor Quist, nur ruhig Blut. Ich verstehe, daß Sie etwas angespannt sind. Was geht Ihnen im Augenblick denn so durch den Kopf?«
»Das unbezwingbare Verlangen, dir stundenlang eins in die Fresse zu hauen! Und wenn du jetzt nicht sofort zusiehst, daß du Land gewinnst, dann mache ich das auch.«
Als Onno, der immer noch das Hemdchen in der Hand hatte, Anstalten machte aufzustehen, zuckte der Journalist die Schultern.
»Es geht auch ohne dich«, sagte er, drehte sich um und verschwand.
Wütend warf Onno das Hemdchen in die Reisetasche.
»Dieses sensationsgeile Pack!«
»Reg dich doch nicht so auf«, sagte Max. »Der Typ ist schon genug gestraft durch die Tatsache, daß er ist, wer er ist.«
Plötzlich legte Sophia jedem von ihnen die Hand auf den Arm.
»Seid mal ruhig.«
Kaum hörbar schrie auf der anderen Seite der Wand ein Kind.
Kurz darauf steckte eine Krankenschwester den Kopf aus der Tür und sagte lachend:
»Der Storch war da! Ein engelhafter Junge! Mutter und Kind geht es gut!«
Daß es ein Junge war, wurde von einer Windel verhüllt, aber mit der Feststellung des Geschlechts allein wußten sie immer noch fast nichts. Sprachlos standen sie vor dem Brutkasten, und Ärzte, Pfleger und Schwestern schauten ihnen über die Schulter. Keiner hatte je so ein Baby gesehen. Neugeborene sahen meist aus wie Boxer am Ende der letzten Runde: verquollen, mit zugeschwollenen Augen und völlig benommen von der erlittenen Gewalt, aber was dort in dem abgeschlossenen, gläsernen Raum lag wie ein kostbares Museumsstück in der Vitrine, war eher ein Putto aus einem italienischen Renaissance-Gemälde: nur die Flügel fehlten. Es war weder kahl, noch hatte es Runzeln, mit denen manche Neugeborene sofort ihr späteres Alter ankündigten, sondern glattes, schwarzes Haar in einem tief mahagonifarbenen Ton, das den ganzen Schädel bedeckte und aussah, als sei es gerade vom Friseur frisch gekämmt worden; die Haut war weich und schimmerte, als würde sie vom Licht des Vollmonds beschienen. Die aufgeblasenen Verformungen, die sonst nur durch die Brille von Mutter- und Vaterinstinkten als schön empfunden werden, fehlten vollständig; die Wangen waren voll, und an den Oberschenkeln und Handgelenken waren leichte Hautfalten zu erkennen, die bei Erwachsenen auf Fettleibigkeit hindeuten würden, bei diesem Kind aber alles andere als den Eindruck rührender Rundlichkeit erweckten, alles war vollkommen und wie ein Kunstwerk, das diesen Namen verdiente; zugleich aber strahlte es dadurch Distanz aus: als ob es niemanden nötig hätte. Die winzigen Brustwarzen, die schlanken Finger und Zehen sahen aus wie mit einer feinen Radiernadel graviert, und obwohl es einen Monat zu früh auf die Welt gekommen war, waren nicht nur die Ohren, sondern auch Nase und
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