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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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auch mein Sohn werden soll. Also habe ich den Schritt vom absolut Elementaren zum komplexen Zwei-zu-drei-Dominanten gemacht. Der reine Quint!«
    Dieser Gedankengang war auch für Max neu. Proctor hatte inzwischen offenbar nicht geschlafen, denn er sagte: »Die Oktave ist acht, und Gott ist auch acht.«
    Es dauerte einige Sekunden, bis Onno reagierte.
    »Gott ist acht? Wie haben Sie das berechnet?«
    »Sie verstehen doch etwas von Sprachen?«
    Onno ließ ein bitteres Lachen hören.
    »Um ehrlich zu sein, kenne ich eigentlich niemanden, der so viel von Sprachen versteht wie ich. Das ist auch der Grund, weshalb ich meinen Sohn nicht Sixtus nennen konnte. Nicht, weil das ein klägliches Intervall von drei zu fünf ist, sondern weil dieser Name nicht von ›sextus‹ stammt, dem lateinischen Wort für ›sechster‹, wie jeder meint, sondern vom griechischen ›xustos‹, das ›poliert‹ bedeutet.«
    »Sie wissen also auch, was das Tetragrammaton ist.«
    »Fahren Sie bitte fort, mein Herr.«
    Der Name Gottes, erklärte daraufh in Proctor, laute Yod, He, Waw, He. Jehova. Da das Hebräische aber, wie Herr Quist wisse, keine gesonderten Zahlen kenne, hätten diese Buchstaben zudem die Zahlenwerte 10, 5, 6 und noch mal 5. Zusammen mache das 26. Wenn man nach den Regeln von Gematria dann noch einmal 2 und 6 addiere, erhielte man 8.
    »Sie zerschmettern mich!« rief Onno aus. »Sie sind ein begnadeter Kabbalist! Aber wenn Gott acht ist, was ist dann fünf?«
    »Das kann natürlich unendlich viel –«, begann Proctor, aber das letzte Wort ging in einem röchelnden Husten unter, der ihn plötzlich überfiel.
    »Nicht unendlich viel«, korrigierte Max. »Viel. Obwohl …
    vielleicht doch unendlich viel, ja.«
    »Und was in diesem Zusammenhang sehr vielsagend ist«, fuhr Proctor fort, nachdem er tief durchgeatmet und sich den Mund abgewischt hatte, »ist die Anzahl der Buchstaben des Alphabets.«
    »Natürlich«, nickte Onno mit einer Ironie, die nur Max wahrnahm. »Zweiundzwanzig.«
    »Im Hebräischen, ja. Aber unseres hat sechsundzwanzig.«
    Mit einem Gesicht, als hätte er das Geheimnis der Geheimnisse gelüftet, sah er Onno an.
    »Aha!« sagte Onno mit hochgezogenen Augenbrauen und hob einen Finger. »Genauso viel wie der Zahlenwert von Gott!
    Das Niederländische als göttliche Sprache! Übrigens, Herr Proctor, Sie sollten nicht ›Jehova‹ sagen, sondern ›Jahwe‹, mit der Betonung auf dem e. ›Jehova‹ ist ein christliches Bastardwort aus dem späten Mittelalter. Noch vernünftiger wäre es, diesen Namen überhaupt nicht in den Mund zu nehmen, denn sonst nimmt es vielleicht noch ein schlechtes Ende mit Ihnen.
    Sie sollten besser ›Adonai‹ sagen, mit den Buchstaben Aleph, Daleth, Nun, Jod. Zumindest, wenn es einen akzeptablen Zahlenwert hat, aber das kann ja wohl kaum anders sein.«
    »Eins plus vier plus fünfzig plus zehn«, sagte Proctor sofort, »macht fünfundsechzig.«
    »Ist gleich elf, ist gleich zwei«, nickte Onno. »Scheint mir in Ordnung zu sein.«
    Während Arendje beim Hören all dieser Zahlen Quintens Zehen zählte und »Zehn!« rief, erschien Kern wieder auf dem Balkon, jetzt in Begleitung des Ehepaars Spier. Mit einer Freundlichkeit, der nicht anzusehen war, ob sie bloß vorgetäuscht war oder echt, kamen sie ihrer gesellschaftlichen Pflicht nach.
    »So ein süßes Kind«, sagte Frau Spier.
    Andächtig betrachtete Herr Spier Quinten, strich vorsichtig mit der Spitze seines Ringfingers einen Augenblick über die weiche Stelle seiner Fontanelle und sagte dann, als ob es Quinten anzusehen wäre: »Seine Initialen lauten Q. Q.«
    »Qualitate qua« , nickte Onno.
    »Das ist selten. Das Q ist der geheimnisvollste aller Buchstaben, dieser Kreis mit dem Strich«, sagte er, während er einigermaßen obszön mit dem manikürten Daumen und dem Zeigefinger einen Kreis bildete, und mit dem Zeigefinger der anderen Hand den Strich, »eine Eizelle, in die eine Spermie eindringt. Und das zweimal. Sehr schön. Mein Kompliment.«
    Wie Proctor wußte offenbar auch er, daß Onno ein Verhältnis zu Schriftzeichen hatte. Max spürte bei seinen Worten einen leichten Schauder auf dem Rücken, aber Onno machte eine plumpe und zugleich gefällige Verbeugung. Auch Spier verbeugte sich daraufh in kurz und zog eine silberne Uhr aus seiner Westentasche. Sie müßten leider gleich wieder gehen, das Taxi warte bereits auf dem Vorplatz, um sie zum Bahnhof zu bringen: sie führen in Urlaub nach Wales, wie jedes Jahr, nach

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